Im Alter zwischen 35 und 55 Jahren ist das Leben eigentlich in trockenen Tüchern: Die berufliche Findung ist durchlaufen, die Familienplanung häufig abgeschlossen und die Persönlichkeit gereift. Trotzdem erleben viele Menschen in der Mitte ihres Lebens eine Phase der Neuorientierung und Veränderung. Diese umgangssprachliche „Midlife-Crisis“ beinhaltet psychische Turbulenzen bis hin zu depressiven Verstimmungen. Doch was genau sind die kritischen Themen, die eine Midlife-Crisis auslösen können? Und was kann man tun, wenn man mitten in einer Midlife-Crisis steckt?
Das Lebensmitte ist eine Zeitspanne, die eine Herausforderung an die Selbstwahrnehmung stellt. Viele Menschen definieren sich entweder als junger oder als alter Mensch, doch in diesem Alter sind sie irgendwo dazwischen. Von Menschen dieser Alterspanne wird implizit angenommen, dass sie funktionieren. Die wilden Exzesse und die Entscheidungsschwierigkeiten des Jugendalters sind vorbei, aber die Gebrechen des Alters noch weit entfernt.
Es handelt sich um eine Phase der Produktivität und Stabilität, so zumindest die weitverbreitete Erwartung. Dennoch kommt es genau in dieser Phase zur „Midlife-Crisis“: Das Leben wird in allen Belangen infrage gestellt und nicht selten besteht ein großer Wunsch nach Veränderung.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens
Im mittleren Alter hat man vieles hinter sich, aber auch noch viel vor sich. Es ist häufig der Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Diese Zwischenbilanz ist aber nicht materieller oder finanzieller Natur, sondern es dreht sich noch eher um den Sinn des Lebens, die eigenen Werte und die eigenen Visionen. Dies mag sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt haben: Psychisches Wohlbefinden und Werteorientierung haben einen höheren Stellenwert im Leben erhalten.
Bei vielen geht es beispielsweise im Job nicht mehr nur um Geld, sondern um den Wunsch, einer sinnvollen und nachhaltigen Tätigkeit nachzugehen. Menschen suchen vermehrt nach der Erfüllung und dem Sinn des Lebens und hinterfragen sich und ihr Verhalten immer stärker. Das ist grundsätzlich positiv zu bewerten, doch kann die stärkere Selbstreflexion auch in zermarterndes Grübeln und große Unzufriedenheit ausarten.
Neben dem abstrakten Hinterfragen des Sinns des Lebens gibt es im mittleren Lebensabschnitt konkrete Lebensaufgaben, die herausfordernd sind. In der Psychologie spricht man von kritischen Lebensereignissen, die unsere Psyche belasten können und die Anfälligkeit für psychische Krankheiten erhöhen. Folgende Lebensereignisse und -aufgaben spielen im mittleren Alter eine Rolle:
Die Kinder sind aus dem Haus
Bei Menschen mit Kindern dreht sich eine Zeit lang vieles nur um den Nachwuchs. Die Begleitung und Förderung der Kinder sind erfüllende Aufgaben, die dem Leben viel Sinnhaftigkeit verleiht. Doch Kinder werden groß, selbstständig und verlassen irgendwann das Elternhaus. Eine große Umstellung für Eltern! Auf einmal herrschen Zeit und Luft für die Reflexion der eigenen Lebensführung.
Partnerschaft und Sexualität
Auch kinderlose Paare erleben zwangsläufig, dass sich langjährige Beziehungen verändern. Die wilde Verliebtheit der Jugend weicht einem geordneten Zusammenleben und großer Vertrautheit. Nicht wenige trauern den frühen Jahren der Partnerschaft hinterher. Es gilt die große Herausforderung, Partnerschaft und Sexualität auch im höheren Alter lebendig zu gestalten.
Erfüllte Träume
Haus, Kinder, Geld – im mittleren Alter sind viele Dinge erreicht und abgeschlossen. Dies kann zu einer Form der Desillusionierung führen. Wenn langgehegte Ziele erfüllt sind, bleibt manchmal ein Vakuum zurück, welches durch neue Werte und Träume gefüllt werden muss.
Karrierewege
Es wurden alle möglichen Beförderungen erreicht, Projekte erfolgreich abgeschlossen und mittlerweile ist das spannendste Business Routine. Nicht alle Menschen können das genießen. Sie vermissen die Herausforderung und vielleicht sogar den Druck.
Verluste und Vergänglichkeit
Mit steigendem Alter wird man immer häufiger mit dem Tod und dem Verlust lieber Menschen konfrontiert. Die eigenen Eltern werden hilfsbedürftiger und schwächer, was eine große Veränderung darstellt. Auch die eigene Jugendlichkeit und Schönheit wird erstmals als vergänglich erlebt, was einen Schrecken einjagen kann.
Wechseljahre als Umschwung
Bei Frauen kommen im mittleren Alter die Wechseljahre hinzu. Es kommt zu großen hormonellen Veränderungen, die das Gleichgewicht des Körpers durcheinanderbringen. Es ist typisch für diese Zeit, dass auch die Psyche in Aufruhr gerät. Es muss eine neue körperliche und psychische Balance gefunden werden.
Phasen der Selbstreflexion, Neufindung und Nachdenklichkeit sind allein noch kein Anzeichen dafür, dass man in seiner Midlife-Crisis psychologische Unterstützung braucht. Sobald jedoch über mehrere Wochen hinweg ein Leidensdruck bei sich selbst oder bei Angehörigen besteht, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Wird die Phase nicht ernst genommen, kann sich eine Depression oder ein Burnout entwickeln. Bei folgenden (länger andauernden) Symptomen sollten man hellhörig werden:
Bei diesen Symptomen sollte eine professionelle Einschätzung der Situation durch Fachärzte oder Psychotherapeuten erfolgen. Eine ambulante Therapie oder ein stationärer Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik können eine Midlife-Crisis auffangen und psychische Folgestörungen
Neben professioneller Begleitung einer Midlife-Crisis gibt es auch grundlegende Dinge, die helfen, eine Lebenskrise zu meistern. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um veränderte Bedürfnisse und Werte zu ergründen und wahrzunehmen. Was ist jetzt im Leben wichtig? Was brauche ich für meine Zufriedenheit?
Neue Hobbys, Ziele und Aktivitäten können zu einem neuen Bewusstsein für die eigenen Vorstellungen vom Leben führen. Zudem ist es ratsam, die Empfindungen und Sorgen mit den wichtigen Bezugspersonen im Leben zu teilen und sie um Rat zu bitten. Es gilt, auf innere Stimmen und den Körper zu hören und sich neu einzufinden in der Mitte des Lebens – so kann eine vorher nicht dagewesene Reife und ein tiefes Bewusstsein für sich selbst entstehen.