Ein Gespräch ohne Maske, eine Umarmung der guten Freundin, die Geburtstagsparty des Kollegen oder der Konzertbesuch der Lieblingsband – All diese Dinge waren die letzten zwei Jahre kaum und wenn nur sehr eingeschränkt möglich. Zu Beginn der Corona Pandemie waren sich die meisten Menschen einig: Die Beschränkungen fühlen sich ganz furchtbar an! Doch nun, wo es schrittweise Lockerungen gibt und eigentlich die Freude darüber überwiegen müsste, setzt bei einigen plötzlich ein Unbehagen ein. Einerseits ist es ganz natürlich, dass wir uns erstmal wieder an das „soziale Pensum“ von früher gewöhnen müssen. Bei nicht wenigen Menschen hat der lange Rückzug jedoch eine gravierende Verschlechterung der psychischen Gesundheit mit sich gebracht und der Weg aus der Vermeidung scheint nun immens bedrohlich.
Jede Erweiterung der Coronamaßnahmen hat uns einerseits mehr eingeschränkt, doch in einigen Hinsichten auch eine gewisse Entschleunigung bereitet. Der lästige Pendelweg zur Arbeit entfiel, der Freizeitstress mit den unzähligen Verabredungen und Unternehmungen wurde kleiner, wir brauchten keine Ausrede mehr, warum wir nicht im Fitnessstudio schwitzen oder konnten uns guten Gewissens das Abendessen nach Hause liefern lassen – schließlich musste unser Lieblingsrestaurant auch irgendwie überleben.
Die vollständigen Lockerungen könnten nun nicht nur das Ende dieser Vorzüge bedeuten, sie könnten auch wieder unsere Sorge etwas zu verpassen oder das Bedürfnis Versäumtes nachzuholen fördern. Wenn alles wieder möglich ist, dann müssen wir auch wieder mit unserem Umfeld mithalten: Ereignisreiche Feierabendpläne, Partys mit unzähligen Gästen, abenteuerliche Fernreisen – Das Hamsterrad dreht sich wieder. Im Umkehrschluss haben wir wieder viel weniger Zeit für uns selbst, unsere Familie und Erholung. Die Angst nicht mithalten zu können, den Anschluss zu verlieren oder den neuen (alten) Anforderungen des Alltags nicht gewachsen zu sein nimmt deutlich zu.
Infolge der zahlreichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hat sich das Weltbild vieler Menschen verändert. Beispielsweise ist deutlich mehr Unsicherheit in Hinblick auf die eigene Gesundheit oder die der Mitmenschen zu spüren. Ein schwerer Verlauf oder sogar Todesfälle im familiären oder beruflichen Umfeld belasten in vielen Fällen zusätzlich. Das hat zur Folge, dass einige Menschen misstrauischer, ängstlicher und psychisch vulnerabler geworden sind.
Gerade diejenigen, die auch schon vor der Pandemie vorsichtiger und zurückgezogener gelebt haben oder sogar bereits an einer psychischen Erkrankung litten, können die strengen Schutzmaßnahmen sogar als eine große Erleichterung erlebt haben. Es gab keine Notwendigkeit mehr in die Konfrontation mit Sorgen und Ängsten zu gehen und sich außerhalb der Komfortzone zu bewegen. Corona diente vielleicht sogar als Ausrede für jegliche Verpflichtungen und das Tragen der Maske konnte ein sicherer Schutzschild zur Außenwelt sein.
Wichtig: Die Zahl der psychischen Erkrankungen durch die Corona-Pandemie ist nachweislich gestiegen. Vermehrte Risikofaktoren waren soziale Isolation, Doppelbelastungen, Verlustängste um Job und Familienangehörige sowie eine beengte Wohnsituation und häusliche Gewalt. (Robert-Koch-Institut, 2021)
In einem gewissen Maße sind alle zuvor genannten Sorgen in Bezug auf die fortschreitenden Lockerungen nachvollziehbar. Wir werden erstmal wieder eine Zeit lang brauchen, uns an das vorherige Pensum an sozialen Kontakten und Verpflichtungen zu gewöhnen. Umgekehrt hat es ebenfalls eine Weile gedauert, bis wir uns an das Leben im Lockdown gewöhnt haben. Doch was, wenn die Sorgen so mächtig werden, dass wir regelrecht panische Angst vor den Lockerungen haben?
Gerade in Zeiten der Pandemie ist es eine besondere Herausforderung reale Ängste von pathologischen zu unterscheiden. Wenn der persönliche Leidensdruck in verschiedensten Lebensbereichen jedoch enorm hoch wird, handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein psychisches Störungsbild und keine vorübergehende Gefühlslage. Mögliche Störungsbilder, die infolge der Pandemie entstehen oder sich verstärken können:
Wenn sowohl psychische als auch körperliche Symptome auftreten bzw. sich verschlimmern und zu einem enormen Leiden führen, sollte dies ein alarmierendes Warnzeichen sein.
Zunächst ist es wichtig zu erwähnen, dass es bei Symptomen der eben definierten psychischen Krankheitsbilder auf jeden Fall ratsam ist, sich professionelle Unterstützung in Form einer Psychotherapie zu suchen. Alternativ kann der schützende Rahmen eines stationären Aufenthaltes kurzfristig Besserung verschaffen und bei der Aufarbeitung der derzeitigen Geschehnisse unterstützen.
Des Weiteren können Maßnahmen der Selbsthilfe den Weg im Alltag aus den Coronamaßnahmen heraus begleiten. Grundsätzlich gilt, je mehr wir versuchen unsere Sorgen im Hinblick auf die Lockerungen zu kontrollieren, desto mehr wird der Fokus auf ihnen liegen und die Sorgen verschlimmern. Im ersten Schritt macht es folglich Sinn die Ängste anzuerkennen und konkret zu hinterfragen, was der Lockdown auch Lehrreiches mit sich gebracht hat.
Vielleicht können eine Hand voll wohltuende Gewohnheiten uns dabei unterstützen, bei den Schritten in die Normalität nicht ins Straucheln zu geraten. Gewohnheiten wie eine Schlafzeit von mindestens acht Stunden, Meditation und Entspannungsübungen, regelmäßiger Sport, Ordnung in der Wohnung oder Telefonate mit Freunden oder Verwandten. Ebenfalls ist es wichtig den eigenen Selbstwert zu stärken und sich der eigenen Ressourcen wie Anpassungsfähigkeit, Geduld oder familiärem Rückhalt bewusst zu werden. Weitere folgende Tipps können hilfreich sein:
Schlussendlich ist es von großer Bedeutung aushalten zu können, dass Andere vielleicht schneller wieder ihr Pensum an Unternehmungen hochfahren, während wir uns noch nach mehr Rückzug sehnen. Wir sollten uns regelmäßig folgende Frage stellen: Mache ich das gerade für mich oder aus Angst etwas zu verpassen?
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