Es pfeift, sirrt, klingelt, brummt und knackt im Ohr und das nicht nur nach einer durchfeierten Nacht oder lauten Konzerten, sondern ständig und ohne erkennbaren Grund. Verschwindet das dauerhafte Ohrensausen nicht von selbst, wird meistens ein HNO-Arzt aufgesucht, der dann die Diagnose Tinnitus stellt. Betroffene können Wochen, Monate oder Jahre darunter leiden. Aber was genau bedeutet „Tinnitus“? Und was kann man tun, wenn man selbst davon betroffen ist?
Ein Tinnitus kann sich ganz unterschiedlich anhören. Manche hören das klassische Piepen im Ohr, viele aber auch eher ein Summen, Sausen oder Knacken. In den allermeisten Fällen ist das Ohrgeräusch subjektiv, d.h. nur die Person selbst kann es hören. Nur in ganz seltenen Fällen ist er von außen hörbar, z.B. wenn der Arzt ein Stethoskop an das Ohr hält. Der Tinnitus entsteht dann durch Verknöcherungen oder Anomalien im Gehörgang.
Akuter und chronischer Tinnitus
Ärzte unterscheiden zwischen drei Formen: Die akute Form, die subakute und die chronische Form. Akut bedeutet, dass das Ohrensausen gerade erst begonnen hat (weniger als drei Monate). Bei subakuten und chronischen Formen besteht es schon länger (mehr als drei Monate bzw. länger als ein Jahr). Diese Einteilung beruft sich vor allem auf den zeitlichen Verlauf der Erkrankung. Sie sagt nichts über die Behandelbarkeit des Tinnitus aus. Auch bei einem chronischen Verlauf macht die Behandlung Sinn.
Beeinträchtigung durch den Tinnitus
Ist der Tinnitus zwar vorhanden, stört aber die betroffene Person kaum, wird von einem kompensierten Tinnitus besprochen. Diese Form ist auch der Zielzustand der Therapieverfahren.
Ein dekompensierter Tinnitus führt hingegen zu erheblichen Leiden und Beeinträchtigungen. Er wird dann ständig wahrgenommen und kann die Betroffenen geradezu „wahnsinnig“ machen. Ein dekompensierter und chronischer Tinnitus kann viele Begleiterkrankungen hervorrufen, u.a.:
• Schlafstörungen
• Schwindel
• somatische (körperliche) Beschwerden,
• Verspannungen
• psychische Erkrankungen, wie Depressionen und Angststörungen
Die Gesundheit der Betroffenen kann durch einen Tinnitus auf vielen Ebenen angegriffen werden. Daher ist ein Tinnitus eine äußerst komplexe gesundheitliche Beeinträchtigung, die entsprechend ganzheitlich behandelt werden muss.
Oft eine andere Hörproblematiken, wie z.B. eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen (Hyperakusis) oder ein Hörsturz, voraus. Manchmal ist auch eine Durchblutungsstörung des Innenohrs die Ursache für einen Tinnitus. Diese kann mit durchblutungsfördernden Mitteln behandelt werden.
Selten rein körperlich bedingt
Liegen jedoch keine anatomischen Besonderheiten im Gehörgang oder Durchblutungsstörungen vor und sind zudem Tumore entlang der Hörbahn im Gehirn ausgeschlossen, dann ist der Tinnitus ein neurologisches Phänomen mit komplexen Ursachen. Das Gehirn generiert ein Geräusch bzw. die Illusion oder Wahrnehmung eines Geräuschs, die es in der Realität nicht gibt.
Sind alle organischen Ursachen ausgeschlossen und das ständige Ohrgeräusch besteht weiter, müssen andere Ursachen für die störenden Ohrgeräusche in Betracht gezogen werden. Hier kommen wir in den Bereich der Psyche und ihr Zusammenspiel mit dem Körper (siehe auch: Psychosomatik).
Manch einer ist überrascht, wenn er hört, dass der Tinnitus in psychosomatischen Kliniken und nicht primär in HNO-Kliniken behandelt wird. Dies liegt daran, dass er a) psychische Ursachen haben kann, b) psychische Folgeerkrankungen begünstigt und c) psychotherapeutische Methoden sehr wirksam für die Therapie sind.
Psychische Ursachen
Ein Tinnitus kann ein Signal für starke Überlastung sein und steht daher vor allem mit der Erkrankung Burnout in Zusammenhang. Aber auch Depressionen, Angst- und Zwangserkrankungen erhöhen das Risiko für Ohrgeräusche. Zudem wird der Umgang mit dem Tinnitus durch die psychischen Eigenschaften (z.B. Persönlichkeitseigenschaften) der betroffenen Person beeinflusst. So ist der Heilungsverlauf bei sehr pessimistisch oder kritischen Menschen schwieriger als bei optimistischen.
Psychische Folgen
Tritt der Tinnitus gemeinsam mit psychischen Erkrankungen auf, so ergibt sich die berühmte Henne-Ei-Problematik: Was war zuerst da? Die psychische Erkrankung oder das Ohrensausen? Dies ist manchmal gar nicht so einfach zu beantworten, wenn zum Beispiel eine Depression im Vorfeld von der betroffenen Person selbst und ihren Ärzten noch überhaupt nicht erkannt wurde. Es muss aber gar keine ausgewachsene psychische Störung sein. Allein negative Gefühle wie Wut, Ärger und Ohnmacht können das Krankheitserleben und Leiden verstärken.
Der Teufelskreis der Aufrechterhaltung
Zusätzlich spielen psychische Faktoren auch in der Aufrechterhaltung von Tinnitus eine enorme Rolle. So kann sich die Wahrnehmung des Ohrensausens selbst verstärken, wenn es von der betroffenen Person mit viel negativer Bewertung und Aufmerksamkeit bedacht wird.
Wichtig: Begibt man sich in Behandlung, so erkennt man ihre Qualität daran, dass von Anfang an auch psychische Ursachen in Betracht gezogen werden. Der Tinnitus ist eine Erkrankung, die viele Ursachen haben kann, die z.T. auch miteinander verknüpft sind. Das macht die Erkrankung sehr komplex und sollte von Fachkräften von Beginn an berücksichtigt werden.
Eins vorweg: Sie sind dem Tinnitus nicht hilflos ausgeliefert. Es gibt mittlerweile viele Kliniken und ambulante Therapeuten, die sich auf die Behandlung von psychischen Folgen und Ursachen spezialisiert haben. Folgende Therapiemethoden werden häufig angewandt:
• Entspannungsverfahren: den allgemeinen Stress und die Belastung durch den Tinnitus reduzieren
• kognitive Umstrukturierung: negative Bewertung des Ohrgeräuschs verändern und negative Gedanken reduzieren
• Akzeptanz: den Tinnitus akzeptieren und ihn nicht mehr in den Fokus rücken lassen
• Gesprächspsychotherapie: belastende Themen im Leben ansprechen und nach Lösungswegen suchen
• Sporttherapie: Stressabbau durch Bewegung
• Hörtherapie: experimentieren, welche Geräusche den störenden Tinnitus möglicherweise verdecken können (noise-cancelling)
• Biofeedback: die eigene Stressreaktion besser einschätzen können
• Psychoedukation: in Hinblick auf Schlafhygiene, Umgang mit Belastung etc.
• medikamentöse Unterstützung: wenn sich im Verlauf oder bereits im Vorfeld eine psychische Störung zeigt, werden ggf. Medikamente unterstützend verschrieben
Eine weitere Methode ist das sog. „Reframing“, die auch hier den Abschluss bilden soll. Reframing bedeutet, Ereignissen oder Empfindungen einen anderen Rahmen zu geben und sie so umzudeuten. Im Fall eines Tinnitus wäre es eine Idee, ihn nicht mehr als „störende, nervige und leidbringende“ Erfahrung zu betiteln, sondern als „Signal des Körpers, besser auf sich selbst zu achten“. Vielleicht hilft Ihnen dieser kleine Tipp ja, die Behandlung in Angriff zu nehmen oder sich für die weitere Behandlung zu motivieren.
Kategorien: Burnout Depressionen