Wenn aus dem Corona-Frust eine Corona-Depression wird

Seit über einem Jahr läuft das Thema Corona in der Dauerschleife. Viele Menschen erleben Gefühle der Erschöpfung, der Resignation und des Unverständnisses, selbst wenn sie grundsätzlich die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus mittragen. Der Corona-Frust zieht sich durch unseren Alltag – ob auf der Arbeit oder im Privaten. Doch wie viel Corona-Frust kann unsere Psyche vertragen? Wann wird aus dem Corona-Frust eine Corona-Depression?

Unterschiedliche Arten der Corona-Depression

Von einer Corona-Depression ist die Rede, wenn sich eine bestehende Depression im Zuge der Corona-Krise verschärft oder wenn eine Ersterkrankung auftritt, die im Zusammenhang mit den Einschränkungen und Belastungen in der Corona-Krise steht. Die individuelle Krankheitsgeschichte der Betroffenen zeigt, dass eine Corona-Depression unterschiedliche Ausgangspunkte haben kann. Oft sind die derzeitigen Belastungen ein weiteres Puzzleteil in der Entstehungsgeschichte einer depressiven Störung. Im ungünstigen Falle sind sie dann jedoch das sprichwörtliche „Zünglein an der Waage“ in der Entstehung einer depressiven Störung.

Bestehende depressive Episoden werden durch Corona verstärkt
Für Menschen, die bereits vor der Corona-Pandemie von Depressionen betroffen waren, ist die Situation herausfordernd. Zum einen werden bestehende Hilfesysteme ausgehöhlt. Beispielsweise ist die ambulante Psychotherapie derzeit häufig nur auf digitalem Wege möglich. Ebenso können Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen nicht in Präsenz stattfinden.

Zum anderen fallen durch die Pandemien wichtige Stützen und Routinen weg, die Betroffene sonst zur Strukturierung ihres Alltags nutzen konnten: Der Kontakt zu Arbeitskollegen, Freizeitaktivitäten, Treffen mit Freunden, Kultur… Diese schützenden Rahmenbedingungen wurden in der Pandemie genommen und gleichzeitig mit ihnen positive und belohnende Erfahrungen minimiert. Fallen diese positiven Verstärker weg, wird es immer schwieriger, genug Antrieb für die Bewältigung des Alltags zu entwickeln.

Corona-Depressionen: Eine große emotionale Herausforderung

Die emotionalen Herausforderungen sind während der Corona-Krise höher. Gefühle, wie Unsicherheit, Niedergeschlagenheit, Wut, Überforderung, Traurigkeit, existenzielle Not, Resignation oder Ohnmacht sorgen für innere Kämpfe. Deren Bewältigung fordert selbst gesunde und widerstandsfähige Personen heraus. Bei vielen Menschen reichen die vorhandenen inneren Ressourcen (mittlerweile) nicht mehr aus, um mit diesen Gefühlen umzugehen.

Stress als Auslöser für Corona-Depressionen
Langfristiger Stress ist für unseren Organismus schädlich. Das Thema Corona hat sich leider zu einem sogenannten langfristigen Stressor entwickelt. Wir sind geplagt von Zukunftsängsten, existenziellem Druck und sozialer Isolation. Schlimmer noch: Wir erleben ein Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes. Die Forschung zeigt, dass gerade dieses Gefühl der Machtlosigkeit die Stressreaktion in unserem Körper verstärkt. Die ausgeschütteten Stress-Hormone wirken sich auf die Psyche aus: Wir können schlechter abschalten und der Geist ist ständig im Alarmzustand. Andauernde Stressbelastung ist ein Risikofaktor für die Entstehung einer Depression.

Häufig ist es so, dass bei einer Corona-Depression auch schon im Vorhinein ungünstige psychische Strukturen vorhanden waren. Symptomatiken, die vorher knapp unter der Schwelle zu einer klinisch diagnostizierbaren Störung liefen, werden in der Corona-Pandemie stärker und der psychische Zustand verschlechtert sich. Die Störung wird behandlungsbedürftig. Doch woran erkennt man eine behandlungsbedürftige Corona-Depression?

Indikatoren für eine Corona-Depression

Verständlicherweise erleben gerade fast alle Menschen widersprüchliche Gefühle. Bis zu einem gewissen Maße lässt sich von Corona-Frust sprechen. Doch welche Merkmale können wir heranziehen, um Corona-Frust von einer Corona-Depression zu unterscheiden?

  • Handlungsfähigkeit: Gesunde Menschen sind trotz aller Widrigkeiten der Corona-Pandemie handlungsfähig: Sie gehen ihrem Job nach, bestreiten ihre Pflichten im Haushalt und versuchen alles, um sich mit der Situation bestmöglich zu arrangieren. Bei einer Depression ist diese Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. In der Psychologie findet sich das Konzept der Handlungs- bzw. Lageorientierung: Widerstandsfähige Menschen sind überwiegend handlungsorientiert, selbst in schwierigen Situationen. Depressionen führen hingegen typischerweise zu einer stärkeren Lageorientierung, d.h. zum Verharren in negativen Zuständen.
  • Leidensdruck: Wie bei allen psychischen Störungen spielt auch bei der Corona-Depression der Leidensdruck eine entscheidende Rolle. Es lohnt sich zu fragen: Wie hoch würde ich meinen derzeitigen Leidensdruck auf einer Skala von 1-10 einschätzen (1 steht für nicht vorhanden, 10 für unaushaltbar). Ist dieser Leidensdruck andauernd im obersten Drittel der Skala, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
  • Schwingungsfähigkeit in andere Gefühlslagen: Schwingungsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, sich von Gefühlen lösen zu können, wenn die Umstände es erfordern. Beispielhaft sei die Fähigkeit zu genussvollen Aktivitäten genannt, die wir in der Corona-Zeit als Ersatz vornehmen können (etwa Online-Meetings mit Freunden). In einer Depression ist diese Fähigkeit oft reduziert und Betroffene sind stark in ihren negativen Gefühlen und Gedanken verhaftet.
  • Ablenkbarkeit: Gesunde Menschen können sich nach einer Weile des Verharrens in negativen Zuständen meistens wieder anderen Aktivitäten zuwenden. Sie können sich wieder anderen Aktivitäten widmen, die neben Corona für sie ebenfalls große Bedeutung haben. Bei einer Depression ist diese Ablenkbarkeit deutlich reduziert.
  • Gesunder Pragmatismus: Können Menschen den Wellen des Corona-Frusts mit einer guten Portion Pragmatismus oder Humor begegnen, ist dies meist ein gutes Zeichen. Wie oft hören wir gerade Ausrufe wie „Nützt ja nichts“ oder „Irgendwann ist auch dieser Spuk vorbei!“. Diese Lebenseinstellung ist schützend gegenüber Corona-Depressionen.
  • Dauer: Natürlich spielt auch die zeitliche Dimension bei der Entstehung einer Corona-Depression eine Rolle. Kurzfristige „Durchhänger“ sind noch kein Alarmzeichen. Dauern diese aber länger als zwei Wochen an, sollte eine Abklärung der Symptomatik erfolgen.
  • Spezifische Depressionssymptome: Bei den vorangegangenen Punkten handelt es sich auf eine speziell auf Corona zugeschnittene Darstellung. Beim Verdacht auf eine depressive Erkrankung müssen selbstverständlich auch die allgemeingültigen Diagnosekriterien beachtet werden. Diese umfassen unter anderem Antriebslosigkeit, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit und den Verlust jeglicher Freude. Eine vollständige Auflistung finden Sie im Blogbeitrag zu Depressionen.

Wenn der Corona-Frust merklich steigt, besteht Handlungsbedarf. Wir sind psychischen Tiefs nicht hilflos ausgeliefert, sondern können Strategien anwenden, die vor einer entstehenden Corona-Depression schützen können.

Strategien gegen Corona-Depressionen

Zunächst ist es hilfreich, sich an den Leitsatz “Routinen schaffen und schützen” zu halten. Wenn wir einen geregelten Tagesablauf einhalten, unseren Pflichten nachkommen und uns Ruhezeiten gönnen, hat dies einen positiven Einfluss auf unsere Befindlichkeit.

Natürlich plagen uns zurzeit vermehrt negative Gedanken, z.B. “Wird das denn nie vorbeigehen mit der Corona-Pandemie?” oder “Ich kann diese Ungewissheit, diese Isolation nicht mehr aushalten”. Hier kann ein sinnvoller Umgang mit negativen Gedanken geübt werden. Dazu zählt, von den abertausenden Gedanken, die uns täglich durch den Kopf schwirren, Abstand zu nehmen und sie als das zu betrachten, was sie sind: Gedanken – mehr nicht. Auch wenn wir diese Gedanken haben, können wir trotzdem hilfreiche Dinge in unserem Leben tun. Wir können lernen, in einer schlechten Situation trotzdem gut zu leben. Ein solches Mindset kann eine Corona-Depression vorbeugen.

Auch der Umgang mit Gefühlen kann die Entstehung einer Corona-Depression beeinflussen. So versuchen die meisten Menschen oft, Gefühle innerlich zu bekämpfen. Wir alle würden am liebsten die schlechten Gefühle aus unserem Leben verbannen. Dies ist aber nur selten von Erfolg gekrönt, daher ist die Prämisse “Gefühle sind zum Fühlen da” hier hilfreicher. Frust- und Ohnmachtsgefühle wirklich zu spüren, kann ihnen ihre Bedrohlichkeit nehmen. Denn: Jedes Gefühl nimmt irgendwann ab, wie der so oft als Beispiel genannte Zorn, der irgendwann verraucht.

Es ist zudem empfehlenswert, den Austausch mit anderen Menschen trotz aller Widrigkeiten aufrecht zu erhalten. Der Mensch als soziales Wesen braucht Kontakt und Nähe. Diese lassen sich auch mit physischer Distanz herstellen. Online oder an der frischen Luft können wir den Corona-Frust austauschen, uns Ideen geben, was hilfreich sein könnte und uns gegenseitig Halt geben.

Unter den gegebenen Umständen bleibt uns derzeit vor allem die Entscheidung, auch im Kleinen unsere zentralen Werte zu leben. Wir können uns fragen: “Was für ein Mensch möchte ich sein?” oder “In welche Bahnen möchte ich meine Energien lenken?”. Oft kommt uns dann eine Richtung in den Kopf, in die wir uns auch in Corona-Zeiten bewegen können. Auch kleine Schritte in Richtung unserer Werte sind Schritte in die richtige Richtung!

Corona-Depression: Die LIMES Schlosskliniken als Ansprechpartner

Die LIMES Schlosskliniken haben sich von Beginn an aus psychologischer Perspektive mit dem Thema Corona auseinandergesetzt. Unseren Fachkräften erleben Tag für Tag, dass die andauernde Krise unsere Psyche nicht unbeeinflusst lässt. Wenn Sie professionelle Unterstützung zur Bewältigung der Corona-Krise in Anspruch nehmen möchten, zögern Sie nicht uns zu kontaktieren. Wir sind für Sie da.

Quellenangaben

(1) https://www.bdp-verband.de/presse/pm/2020/versorgung-von-psychisch-erkrankten-in-der-corona-krise-nicht-durchgehend-gewahrleistet.html

(2) https://www.infranken.de/lk/bad-kissingen/bad-brueckenau/corona-patienten-unter-psychischem-druck-art-5193465

(3) https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/news-archiv/meldungen/article/experten-zunahme-von-depressionen-und-angststoerungen-durch-corona/

(4) https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-08/seelische-gesundheit-corona-krise-psychische-erkrankungen-studie?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

(5) Beck, V. (2020). Die ungewollte soziale Distanz in Zeiten der Corona-Pandemie: Eine Analyse der Psychischen Auswirkungen. Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Klett-Cotta, Stuttgart, 54-67.

Kategorien: Depressionen Long-Covid

Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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