Wie kann es sein, dass in einem Land und einer Gesellschaft, wo es an nichts mangelt so viele Menschen psychisch krank sind? Ist vielleicht gerade der Wohlstand ein Risikofaktor? Es ist spannend auch dieses Merkmal einer modernen Gesellschaft einmal zu beleuchten, um möglichen Ursachen von Erkrankungen, wie Burnout und Depressionen, auf die Schliche zu kommen.
Ständige Erreichbarkeit, Digitalisierung, Vermischung von Arbeit und Privatem durch Homeoffice – All diese Faktoren sind hinreichend bekannt als die täglichen Beschleuniger des Lebens und die meisten Menschen sind bereits auf dem Weg einen gesunden Umgang mit ihnen zu finden. Doch warum bleibt das Gefühl der ständigen Überforderung auch dann nicht aus? Der Grund dafür hier in Deutschland sind Herausforderungen, die mit einer liberalen Wohlstandsgesellschaft einhergehen:
Dadurch, dass den meisten Menschen so viele Möglichkeiten offen stehen, müssen ständig unzählige Entscheidungen getroffen werden. Ob es ein reichhaltiges Buffet an Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten ist, die Wahl des Wohnortes in jeder Stadt der Wahl – oder sogar im Ausland…Und sogar beim Abschluss des Handyvertrages gibt es mehr Angebote, als man jemals prüfen könnte. Wo wir gleichzeitig unglaublich privilegiert sind diese Dinge überhaupt entscheiden zu können, stellt uns das genauso oft vor Herausforderungen. Religion, Traditionen und Werte sind ebenso breit gefächert – das Leben kann so gestaltet werden, wie es einem beliebt. Das impliziert jedoch auch, dass jeder für seine eigene Zufriedenheit mehr Verantwortung trägt und ein Nichterreichen der Ziele eher als selbstverschuldetes Versagen erlebt wird.
Ein Job muss heute nicht nur genug Geld am Ende des Monats auf das Konto abwerfen. Er muss auch noch sicher sein, gut angesehen, sinnstiftend und so flexibel, dass eine gute Work-Life-Balance möglich ist. Denn aufregende Freizeitaktivitäten, viel Zeit mit Freunden und Familie sowie Reisen gehören schließlich auch zu einem erfüllten Leben dazu. Zudem möchten wir die tollsten Reisen machen, uns maximal gesund ernähren, sportlich fit sein und ein perfekt eingerichtetes Eigenheim haben. Denn grundsätzlich ist ja alles möglich. All diese Erwartungen unter einen Hut zu bekommen ist enorm schwierig und Enttäuschungen sind vorprogrammiert.
Im letzten Abschnitt sollte das sich immer schneller drehende Karussell, in dem wir tagtäglich fahren, deutlich geworden sein. Da verliert man schon mal schnell die Kontrolle! Die unendliche Breite an Möglichkeiten, sowie die hohen Optimierungsansprüche für eine Selbstverwirklichung, lassen uns schnell überfordert und erschöpft sein, sowie das Risiko für psychische Erkrankungen enorm ansteigen.
Burnout resultiert aus einer lang anhaltenden Stressepisode – dem chronischem Stress. Wenn dann noch zu wenige Ressourcen zur Bewältigung verfügbar sind, entsteht schnell ein Ungleichgewicht zwischen Anspannung und Erholung, welches sich in drei Beschwerdedimensionen äußert:
Depressionen sind nicht selten die Folge von einem Burnout, der an sich noch nicht offiziell als psychische Erkrankung geführt wird. Eine richtige Depression ist von folgenden drei Hauptkriterien gekennzeichnet:
Weitere Symptome können sein:
Gerade bei Depressionen sind häufig Minderwertigkeitsgefühle und Selbstzweifel sehr dominant, was eben Folgen von einem Mangel an Orientierung sowie zu hohen Ansprüchen im Leben sein können.
Doch was können wir nun tun? Um diese Frage zu beantworten ist es sinnvoll sich eine weitere Neuheit unserer Gesellschaft anzusehen. Haben sie schon mal etwas von Slow Living (Slow-Flood, Slow-Business oder Slow-Travelling) gehört? Langsamkeit und Achtsamkeit sind die neuen Schlagworte, für die ein so großes Bedürfnis besteht. Grundlegend geht es darum durch bewusstes Handeln wieder mehr Lebensqualität zu erlangen – Ganz nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“. Beispiele für den Alltag sind:
Ob in der Bahn, Zuhause auf dem Sofa oder zusammen mit Freunden. Es geht darum, das, was man tut, zu tun – und nichts anderes. Nicht während eines Filmes parallel auf dem Handy Nachrichten zu versenden, während des Telefonierens aufzuräumen oder im Teammeeting auf der Arbeit nebenher noch ein paar private Angelegenheiten zu regeln.
Viel zu oft schlingen wir unser Frühstück im Stechschritt auf dem Weg morgens zur Bahn herunter, schauen dabei einen Film an oder erledigen schon die nächste berufliche Aufgabe. Beim bewussten Essen geht es darum sich Zeit zu nehmen, die Mahlzeit zu zelebrieren, sich an den Tisch zu setzen, das Essen schön anzurichten und vielleicht eine Kerze dazu anzuzünden. Und dann jeden Bissen versuchen intensiv zu schmecken und gut zu kauen.
Es geht darum, weniger zu konsumieren und jeden einzelnen Kauf sehr viel durchdachter zu tätigen. Viel zu viel Geld geben wir im Affekt aus ohne von dem Produkt oder der Dienstleistung wirklich einen Nutzen zu haben oder auf Nachhaltigkeit geachtet zu haben. Bewusster Konsum nimmt einem folgend auch wieder viele tägliche Entscheidungen ab, beispielsweise bei der morgendlichen Wahl zwischen unzähligen Kleidungsstücken ist, die teilweise gar nicht richtig den eigenen Geschmack treffen.
Das sind nur einige Beispiele für die Gestaltung von Slow-Living, die unseren Alltag wieder entschleunigen können. Wir sollten uns wirklich fragen ob die hohen Ansprüche, die wir in jeglichen Lebensbereichen haben, nicht dauerhaft nur zu Unzufriedenheit führen können und wir uns nicht auf wenige Dinge ganz bewusst konzentrieren sollten. So fällt es uns vermutlich auch dauerhaft leichter mit den ganzen Entscheidungen und Möglichkeiten umzugehen, die wir jeden Tag haben. Sollten wir auch dann immer noch das Gefühl haben, das ist noch zu wenig, um aus dem schnellen Tunnel wieder rauszukommen, kann professionelle Unterstützung in Form von einer Psychotherapie helfen, wieder mehr Achtsamkeit und Langsamkeit in den Alltag zu integrieren.
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