Die Patientin Frau G. kennt starke Stimmungsschwankungen schon aus der Kindheit. Von himmelhochjauchzend bis zu zum Tode betrübt waren alle Emotionen dabei. Trotzdem durchlebte sie die meiste Zeit eine normale Kindheit und war eine gute Schülerin. Die Ausbildungszeit war turbulent, aber mit Mitte zwanzig startete Frau G. erfolgreich ins Berufsleben. Nach ein paar Jahren im Beruf erkrankte Frau G. an einer schweren Depression und begab sich auf das Drängen ihrer Familie in eine Klinik.
Nach ein paar Wochen brach sie die Behandlung ab, da sie sich als geheilt sah und verließ die Einrichtung in euphorischer Stimmung. Sie gab ihr gesamtes Erspartes für Luxusartikel und einen schicken Sportwagen aus, denn sie wollte in ein neues Leben starten. Ihr neuer Lifestyle überforderte ihre Freunde und Familie, sie kamen kaum noch an Frau G. heran. Sie ließ nicht mehr mit sich reden und hielt sich „für etwas Größeres bestimmt“.
Doch das vermeintliche neue Luxusleben hielt nicht lange an. Es folgte die Privatinsolvenz und der Rückfall in eine schwere Depression mit erneutem Klinikaufenthalt. Dort wurde nach ausführlicher Diagnostik die Diagnose „bipolare Störung“ gestellt.
Das Beispiel von Frau G. zeigt, dass bei einer bipolaren Störung die Stimmung zwischen zwei Extremen wechselt. Daher hat sich der Begriff „bipolar“ etabliert, denn er bedeutet zweiseitig. Das eine Extrem ist die sogenannte Manie, das andere die Depression. Früher wurden Menschen mit bipolarer Störung daher auch als manisch-depressiv bezeichnet. Diese Bezeichnung ist jedoch veraltet. Bipolare Störungen sind seltener als rein-depressive Störungen: Etwa 1-2 von 100 Personen sind an einer solchen Störung erkrankt.
Stimmungen und Stimmungsschwankungen
Um die bipolare Störung zu verstehen, hilft es sich vor Augen zu führen, welche Stimmungen wir Menschen haben können. Auch bei gesunden, unauffälligen Personen kann die Stimmung Ausschläge nach oben oder unten aufweisen. Diese sind aber nicht von langer Dauer und erreichen nur selten das Extrem. Im Normalfall pendelt sich unsere Stimmung um ein gesundes Grundniveau ein. Das ist gut so, denn weder bei zu negativer noch bei zu hoher Stimmung sind wir handlungsfähig. Wir brauchen Ausgeglichenheit, um ein zufriedenes Leben führen zu können.
Bipolarität bedeutet, dass die Betroffenen sowohl depressive und manische als auch symptomfreie Phasen durchleben. Dabei ist ein zyklisch ablaufender Wechsel zwischen den Stimmungslagen charakteristisch. Die Zeiträume des Zyklus sind jedoch stark individuell. Manchmal verbleiben Patienten über Monate in depressiven Phasen, sind im Anschluss einige Wochen symptomfrei und wechseln dann in eine erhöhte Stimmung.
Exkurs: In ganz seltenen Fällen erfolgt der Wechsel zwischen den Stimmungslagen in sehr kurzen Abständen von Tagen oder gar Stunden. Bei diesen Betroffenen wird von „rapid cycling“ gesprochen.
Manische Episode
In der manischen Phase ist die Stimmung stark erhöht. Man kann nicht mehr nur von „sehr guter Laune“ sprechen, denn die euphorische Stimmung hat etwas Wahnhaftes. Es ist schwierig für Angehörige und Freunde, mit der betroffenen Person in Ruhe zu reden. Weitere Symptome sind:
Natürlich nimmt die manische Episode nicht immer extreme Ausmaße an. Wenn die Stimmung gehoben ist, aber die betroffene Person noch (meistens) kontrolliert handelt, dann spricht man von einer hypomanen Phase (hypo im Sinne von „unter“). Wechselt die Stimmung zwischen ausgeprägten Manien und Depressivität, bezeichnet man die Erkrankung als eine Bipolar I – Störung. Sind die manischen Episoden nicht ausgeprägt (also hypoman) wird von einer Bipolar II – Störung gesprochen.
Depressive Episode
In einer depressiven Phase ist die Stimmung gedrückt, es herrscht Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit, so wie bei einer rein depressiven Störung auch. Die Depressivität kann jedoch extreme Ausmaße annehmen, denn Betroffene bereuen häufig ihr Verhalten während der Manie und leiden natürlich zusätzlich an ihren Folgen, wie zum Beispiel Geldsorgen, der Kontaktabbruch mit Familie und Freunden, Untreue oder verursachte Unfälle
Wie bei allen psychischen Störungen muss von einem komplexen Ursachengefüge ausgegangen werden. Es gibt nicht den einen Grund, warum die Person an einer bipolaren Störung erkrankt und die andere nicht. Jedoch gibt es starke Hinweise darauf, dass bei bipolaren Störungen der Botenstoff-Haushalt im Gehirn aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Für den Ausgleich dieser Botenstoffe können Medikamente sorgen.
In der Psychotherapie lernen Betroffene ihre Störung genau kennen. Sie finden Warnzeichen für eine anstehende depressive oder manische Phase heraus und lernen, diesen Phasen mit bestimmten Verhaltensweisen entgegenzuwirken. Dazu können Stressabbau, Entspannung, Sport und Gespräche mit Vertrauenspersonen gehören. Es wird quasi ein „Krankheitsmanagement“ aufgebaut, so dass ein möglichst ausbalanciertes Leben geführt werden kann.
Medikamente bei bipolaren Störungen
Die Verordnung der Medikamente erfolgt nach ausführlicher Diagnostik, in der festgestellt wird, ob es sich um eine rein depressive oder um eine bipolare Störung handelt. Rein depressive Störungen werden mit Antidepressiva behandelt, bipolare Störungen mit stimmungsstabilisierenden Medikamenten. Diese werden auch Phasenprophylaktika genannt.
Engmaschige Betreuung bei der medikamentösen Einstellung
Werden bipolare Patienten anfangs nur mit Antidepressiva behandelt, dann kann es im Zusammenspiel mit der Veranlagung für eine Manie zu Komplikationen kommen: Die Handlungsenergie steigt stark, obwohl die Stimmung noch negativ ist. Dadurch steigt das Risiko für einen Suizid, da der nötige Antrieb hierfür wieder vorhanden ist. Zwar besteht die Gefahr auch für rein-depressive Patienten, es ist aber bei bipolaren Störungen höher. Darum ist vor allem zu Beginn der medikamentösen Behandlung eine engmaschige Betreuung der Betroffenen notwendig.
Frau G. ist inzwischen gut medikamentös eingestellt und hat mit ihrer Psychotherapeutin ein Konzept erstellt, wie sie mit ihrer Krankheit bestmöglich umgehen kann. Sie hat erkannt, dass zu hoher Stress im Berufs- und Privatleben den Wechsel in eine depressive oder manische Phase begünstigt. Auch erhöhter oder verringerter Schlaf sind für sie ein Signal, sich intensiver mit sich selbst zu beschäftigen und Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Sie hat ihre Arbeitsstunden reduziert und praktiziert regelmäßig Entspannungstechniken.
Zweimal im Monat hat sie einen Termin bei ihrer Psychotherapeutin und bespricht aktuelle Themen. Ihr Psychiater überwacht die Einnahme der Medikamente in regelmäßigen Abständen. So kann Frau G. ein normales Leben führen, mit einer Stimmung, die sich im gesunden Bereich eingependelt hat.
Kategorien: Depressionen