Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit 3/10

Die Bedeutung unserer Gefühle für ein erfülltes Leben

von Dr. Gerhard Hofweber

Die Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit reflektieren unser Gefühlsleben, seine Störungen und seine Ordnung aus einer philosophischen Perspektive heraus. Die philosophische Betrachtung eröffnet neue Blickwinkel, lädt uns ein, bekannte Dinge neu zu betrachten und somit uns und die Welt neu kennen zu lernen.
Sie kann einen therapeutischen Prozess nicht ersetzen, aber sehr wohl unterstützen und damit sehr hilfreich für Ihren individuellen Erkenntnis- und Genesungsprozess sein.

Die Versöhnung mit der Vergangenheit (Teil 1)

In den ersten beiden Beiträgen zur Philosophie der psychischen Gesundheit haben wir gesehen, dass ein erfülltes und glückliches Leben wesentlich von den Tiefendimensionen unserer Gefühle abhängt. Dabei ist es entscheidend, auf der tiefen Ebene der Ich-Gefühle psychisch gesund zu sein und, falls dies nicht der Fall sein sollte, extrem wichtig ist, professionelle psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um genesen zu können.

Nun betrachten wir die Thematik des erfüllten Lebens unter einer anderen Perspektive. Wir wollen nämlich bedenken, welche Bedeutung die Versöhnung mit der Vergangenheit für unser Leben hat, insbesondere dann, wenn es erfüllt sein soll.

Ein erfülltes Leben ist nur
als ein Leben in der Gegenwart möglich.

Ausgangspunkt unserer Überlegung ist der folgende Grundsatz: Ein erfülltes Leben ist nur als ein Leben in der Gegenwart möglich. Ein Leben in der Gegenwart wiederum ist aber nur dann möglich, wenn ich mit der Vergangenheit versöhnt bin. Sollte nämlich in der Vergangenheit ein unbewältigter Schmerz liegen, den ich nicht sehen will, von dem ich nichts wissen will, den ich verdrängen möchte, bindet mich dieser an die Vergangenheit und ich kann nicht erfüllt in der Gegenwart leben. Alle Versuche, die Vergangenheit zu ignorieren und ohne sich mit dieser zu versöhnen erfüllt leben zu wollen, müssen scheitern.

Die Versöhnung mit der Vergangenheit
ist immer möglich.

Dies mag sehr harsch klingen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass eine Versöhnung mit der Vergangenheit immer möglich ist, auch wenn sich diese oftmals anders vollzieht, als wir glauben oder vielleicht schon oftmals ergebnislos versucht haben. Warum dies so ist, wird im Laufe meiner Ausarbeitung für Sie hoffentlich deutlich werden. Diesen Punkt klar zu begreifen ist von äußerster Wichtigkeit, denn die vorhandene Möglichkeit der Versöhnung hat nicht nur etwas tröstliches, sondern ist ganz entscheidend für die psychische Genesung und Gesundheit.

Dies wird vielleicht deutlicher werden, wenn wir genauer fassen, was Versöhnung eigentlich ist. In einem ersten Anlauf können wir die Versöhnung verstehen als ein Ins-Reine-Kommen. Man macht seinen Frieden mit etwas, das vorher geschmerzt hat. Man kann den Schmerz jetzt gut sein lassen. Die Wunde kann endlich heilen. Endlich ist es gut.

Diese erste Annäherung impliziert schon eine ganze Reihe wichtiger Gedanken. Zunächst einmal bezieht sich die Versöhnung auf einen Schmerz, der nicht bewältigt ist. Gemeint ist aber ein seelischer Schmerz. Ein körperlicher Schmerz, z.B. bei einer Verletzung, schmerzt auch, aber mit ihm muss ich mich nicht versöhnen. Selbst bei Leistungssportlern ist dies der Fall. Wenn sie wegen einer Verletzung einen wichtigen Wettkampf nicht bestreiten können, besteht das eigentliche Leiden nicht in dem körperlichen Schmerz. Maßgebend ist das seelische Leiden, nämlich dass alle Vorbereitung umsonst war. Dies schmerzt mehr, als ein verletztes Knie. Das Hadern mit dem Schicksal zeigt sich als ein seelischer Schmerz.

Wenn ich mit meiner Vergangenheit
nicht versöhnt bin bedeutet dies,
dass ich eine seelische Wunde in mir habe,
die noch nicht verheilt ist.

Des Weiteren stammt der Schmerz aus der Vergangenheit. Wenn er unversöhnt ist, hält er immer noch an. Die Wunde ist immer noch offen, obwohl sie möglicherweise schon vor langer Zeit entstanden ist. Die Versöhnung bezieht sich somit wesentlich auf die Vergangenheit und auf einen Schmerz, der in ihr entstanden ist. Damit beinhaltet die Versöhnung, dass ich mir sowohl der Vergangenheit als auch des Schmerzes bewusst bin. Ich weiß um den Schmerz, aber jetzt, nach der Versöhnung, tut er nicht mehr weh. Damit die Versöhnung mit der Vergangenheit möglich ist, muss die Vergangenheit erinnert und anerkannt werden. Wenn ich mich an die Vergangenheit nicht erinnern kann oder sie verdränge, kann die Wunde aus der Vergangenheit auch nicht heilen. Ein erfülltes Leben ist dann nicht möglich.

Die Versöhnung bedeutet, es gut sein zu lassen. Das Leben wird dann insgesamt als gut angesehen. ‚Alles ist gut!‘ wäre dazu eine mögliche Formulierung. An sich ist dieser Spruch richtig, aber gleichzeitig wird kaum eine Formulierung mehr missverstanden als diese. Drei populäre Missverständnisse möchte ich kurz besprechen, um dann die richtige Bedeutung zu erläutern.

‚Alles ist gut!‘ – Was heißt das? Drei falsche Ansichten:

1.Ich kann nicht mehr wirklich fühlen

Jemand, der nichts fühlt und seine Verletzungen und tiefen Gefühle verdrängt, kann durchaus der Auffassung sein, dass alles gut sei. Denn er fühlt ja das Schlechte und den Schmerz nicht. Dann kann er aber auch das Gute und Schöne nicht fühlen. Wenn er meint, alles sei gut, so drückt er damit nur die Indifferenz seiner Gefühle aus und die Unfähigkeit, zwischen den Gefühlsebenen zu unterscheiden. Je tiefer der Schmerz sitzt, je schrecklicher die Wunde ist, umso weiter ist die Person, die dennoch behauptet, alles sei gut, von ihren wahren Gefühlen entfernt. Die subjektive Wahrnehmung ist dann maximal von der tatsächlichen Wirklichkeit entfernt. Denn eigentlich müsste man sagen, dass gerade überhaupt nichts gut sei. Dies entspräche vielmehr der Wahrheit. Aber gerade diese kann die Person nicht sehen. So ist es beispielsweise die Regel, dass eine Person, welche sich in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung begibt, selbst der Überzeugung ist, dass sie eine schöne Kindheit gehabt hätte. Nur hätten sich im Laufe des Lebens zunehmend Probleme, Depressionen, Angst– oder Zwangsstörungen eingestellt, welche mit der Kindheit aber nichts zu tun hätten. Diese Annahme mag verbreitet sein, aber sie kann unmöglich richtig sein. Die bei Weitem meisten Störungen entstehen nämlich in der Kindheit.

Nur hat die psychisch erkrankte Person dies verdrängt und seine Kindheit idealisiert. Um zu den Ursachen der Krankheit zu kommen ist es daher notwendig, im professionell begleiteten Prozess behutsam zur Erinnerung zurück geführt zu werden, um dann die alten seelischen Wunden heilen zu können.

Es ist entscheidend, seine Gefühle
wieder spüren und sich an die
Vergangenheit wieder erinnern zu können.
So ist die Versöhnung und die Heilung möglich.

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2.  Die vermeintlich gnadenlose Lebensbilanz gibt keinen Aufschluss darüber, ob mein Leben gut war und ist.

Eine andere Weise, das Leben als gut zu betrachten, besteht in der Aufrechnung. Es wird abgewogen, was gut und was schlecht im Leben war und danach wird bewertet, ob das Leben insgesamt positiv oder negativ verlaufen ist. Das ist die berühmte Lebensbilanz. Dies bedeutet: Jetzt wird abgerechnet. Gerne wird das auch mit dem Adverb gnadenlos verbunden. Die gnadenlose Abrechnung entspricht dann der ehrlichen Lebensbilanz.

Manche sind sogar sehr stolz darauf, dass sie sich selbst dieser gnadenlosen Lebensbilanz unterziehen und sich so ehrlich den Tatsachen stellen. Aber dies ist einfach nur vollkommener Unsinn und ein Verkennen der Realitäten. Denn was soll denn da gegeneinander aufgerechnet werden? Was im Leben lässt sich auf diese Weise vergleichen und bewerten? Die Rechnung ist ja rein quantitativ und die Qualität spielt dabei überhaupt keine Rolle. Insofern ist eine Bewertung durch eine Rechnung von Haus aus gar nicht möglich.

Für die Betrachtung meines Lebensganzen
spielt nicht die Quantität positiver
und negativer Gefühle eine Rolle,
sondern die Qualität meines Gefühlslebens.

Aber selbst wenn ich sie vollziehen sollte, ist sie nur innerhalb der äußersten Gefühlsebene möglich. Aufgerechnet werden dann die angenehmen und die unangenehmen Ereignisse des Lebens. Wenn die Anzahl der angenehmen Erlebnisse überwiegt, kommt man zu dem Ergebnis, dass das Leben gelungen sei. Was für eine oberflächliche Betrachtung! Wie weit entfernt eine solche Betrachtung von dem wirklichen Leben doch ist! Die tiefen Ebenen sind es ja, die zählen und nur diese entscheiden über ein erfülltes oder unerfülltes Leben. Wenn jemand z. B. ein angenehmes Leben im Wohlstand verlebt hat und dann ein tiefes Unglück erfährt – den Tod seines Kindes oder des geliebten Partners – würde er ohne zu zögern alles Angenehme hingeben, wenn er damit dieses eine Unglück abwenden könnte. Der Unterschied liegt nicht in der Quantität, sondern in der Qualität der Tiefendimension der Gefühle. Für das erfüllte Leben zählen einzig die tieferen Dimensionen unseres Gefühlslebens. Diesen Gedanken habe ich bereits im ersten Beitrag zur Philosophie der psychischen Gesundheit dargestellt und er kann dort nachgelesen werden. Eine Bilanz ist hier nicht nur nicht möglich, sondern vollkommener Unsinn und das Ergebnis einer von Grund auf falschen Betrachtung des Lebens.

3.  Die Annahme, dass alles gut sein, weil ich sonst nicht der wäre, der ich heute bin, ist vollkommener Unsinn!

Als letztes möchte ich noch ein Missverständnis betrachten, das leider sehr verbreitet, gleichzeitig aber auch besonders fatal ist. Die Rede ist von der Auffassung, deshalb alles für gut zu erklären, weil ich eben dadurch derjenige geworden bin, der ich jetzt bin. Ohne diese Erlebnisse wäre ich ja nicht der, der ich jetzt bin. Insofern ist es nicht nur gut, dass mir all dies widerfahren ist, was ich durchleiden musste, sondern ich sollte dem allen auch dankbar sein. Das Leiden, das Ungerechte, das Trauma hat mich ja erst zu dem gemacht, was ich jetzt bin, also muss ich dem allen auch dankbar sein. Insofern ist auch alles gut. Denn es hat ja einen Zweck erfüllt, nämlich den, mich zu dem zu machen, der ich geworden bin.

Wir sind nicht auf die Welt gekommen,
um durch Schmerz und Trauma ständig Lektionen zu lernen.
Wir sind auf die Welt gekommen,
um in Wahrheit und Liebe zu leben.
Das ist der Sinn unseres Lebens.

Ich muss gestehen, dass ich mich zurückhalten muss, nicht deftiger zu werden, weil diese Auffassung so dumm und so fatal ist. Natürlich ist es richtig, dass alles, was mich geprägt hat, mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Aber das bedeutet doch nicht, dass alles deswegen gut gewesen ist! Zudem ist die ganze instrumentelle Sicht auf das Leben falsch. Wir sind nicht auf der Welt, um ständig schmerzhafte Lektionen zu lernen, die wir dann versuchen, stoisch hinzunehmen. Wir sind auf der Welt, um in Wahrheit und Liebe zu leben. Das ist der Sinn unserer Existenz! Natürlich bleibt es dabei nicht aus, dass wir Fehler machen und schmerzliche Lektionen lernen müssen. Aber das ist eben nicht der Sinn unseres Lebens! Man muss sich doch nur einmal in die Perspektive einer liebenden Mutter, eines liebenden Vaters hineinversetzen. Wenn ich Mutter oder Vater bin: Möchte ich dann für meine Kinder, dass ihnen möglichst viel Unglück widerfährt, damit sie daraus ihre Lektion lernen und dadurch werden, wer sie sind? Oder wünsche ich mir für meine Kinder, dass sie möglichst von Unheil verschont bleiben und eben dort, wo es dennoch auf sie einbricht, die Kraft finden, es auch zu bewältigen und sich damit zu versöhnen?

Und wünschen wir uns denn für uns selbst nicht, dass manches Unglück uns nicht gestreift hätte? Dass mancher Kelch an uns vorbei gegangen wäre? Das uns die ganze Schwere des Leidens erspart geblieben wäre? Ändern können wir es freilich nicht mehr. Uns bleibt nur der Weg, unsere Verletzungen therapeutisch aufzuarbeiten, bis wir uns damit versöhnen können. Dann ist das Unglück zwar nicht vergessen oder ungeschehen gemacht, aber es schmerzt nicht mehr.

Nur auf der Ebene des Menschseins
gibt es keine Unterschiede.
Im individuellen Bereich ist alles
unterschieden und einzigartig.

Zudem ist doch die Erklärung, wodurch wir geworden sind, was wir sind, in keiner Weise eine Absolution dafür, dass wir so auch richtig und gut in unserem Handeln, Fühlen und Denken wären. Ansonsten wäre ja jeder in derselben Weise richtig und gut. Bitte denken Sie selbst einmal darüber nach! Nur weil ein Vorurteil verbreitet ist, heißt noch lange nicht, dass es auch wahr ist. Denn genau auf der individuellen Ebene stimmt das gerade nicht, dass alles gut sei, nur weil es so geworden ist. Auf der Ebene des Menschseins sind alle gleich und vom inneren Kern her gesehen auch wertvoll und richtig. Was wir aber aus diesem Kern machen, inwiefern wir ihn auch in unserem Leben umsetzen und verwirklichen können, liegt in unserer Verantwortung. Wenn wir dies aufgeben würden, könnten wir einen Massenmörder, Folterer und Schlächter nicht von einem Jesus, Buddha oder Sokrates unterscheiden.

Alles Leiden für gut zu befinden
ist kein Ausdruck von Weisheit,
sondern von Apathie.

Denn alle sind ja das, was sie sind, durch das, was und wie sie das alles erlebt haben. Vom inneren Kern her sind sie nicht unterschieden, denn sie sind alle Menschen. Durch das aber, was sie daraus gemacht haben und was sie Gutes oder Schlechtes in die Welt gebracht haben, sind sie sehr wohl zu unterscheiden. Auch subjektiv machte es einen großen Unterschied, was ich erlebt habe. Wenn ich alles, was ich erlebt habe in diesem Sinne für gut erkläre, muss ich meine ganzen Gefühle missachten und kann das Leiden als Leiden gar nicht wahrnehmen. Dies ist aber nicht Ausdruck der Weisheit, für die es gerne gelten möchte, sondern der Apathie. Warum sollte ich denn alles für gut erklären, egal wie schlimm es für mich war, nur weil es mich zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin? Ich muss schon wirklich weit weg sein von meinen Gefühlen, um das glauben zu können!

„Nicht das Leiden ist ein Einwand gegen das Leben,
sondern das sinnlose Leiden.“
Friedrich Nietzsche

Es ist natürlich auch Leiden und Leiden zu unterscheiden. Sicherlich gab es in unserer Vergangenheit schwere Momente, Phasen, welche schwer und leidvoll waren. Dennoch sehe ich in diesem Leiden retrospektiv einen Sinn.

Durch dieses sinnvolle Leiden konnte ich vielleicht Widerstände überwinden, an ihnen wachsen und mich so durchsetzen und damit selbst verwirklichen.

Aber diese Form des Leidens macht uns in der Retrospektive keine Schwierigkeiten. Warum nicht? Weil ich den Sinn darin erkenne. Viele Menschen nehmen ja freiwillig viel Leiden auf sich, indem sie beispielsweise für einen Triathlon trainieren, Extrembergsteigen betreiben oder ähnliches. Das damit verbundene Leiden wird aber in Kauf genommen und erhöht sogar die Vitalität.

Verarbeiten müssen wir nur das Leid, dass wir als sinnlos ansehen. Dies ist solches, welches über uns gekommen ist, welches wir nicht freiwillig aufgenommen haben, sondern welches uns gegen unseren Willen aufgezwungen oder vom Schicksal auferlegt worden ist. Dieses Leiden können wir nicht als gut ansehen, sondern es ist genau dasjenige, womit wir uns Jahre später therapeutisch oder psychiatrisch unter professioneller Begleitung auseinandersetzen müssen, um uns damit versöhnen zu können.

Was bedeutet es also, dass Leben als gut zu erachten?

Das Leben als gut und richtig zu betrachten hat einen ganz anderen Sinn, als den, welcher sich in den oben genannten Missverständnissen ausdrückt. Wie können wir diesen genauer bestimmen? Bei der Beantwortung dieser Frage können wir uns an dem orientieren, was im letzten Beitrag zur Philosophie der psychischen Gesundheit ausgeführt worden ist. Das Leben ist insofern per se gut und wertvoll, als dass es im inneren Kern der Wahrheit und der Liebe entspricht. Dies macht es zu etwas Besonderem. Das heißt aber nicht, dass das Leben für uns nicht hart und grausam sein kann. Gerade dann ist es aber besonders wichtig, mich an diesen inneren Kern zu erinnern und mich an ihn anzubinden. Es gibt Menschen, die das Schlimmste erlebt haben, Überlebende des Holocaust beispielsweise, und dennoch mit dem Leben versöhnt sind. Was gibt ihnen die Kraft zur Versöhnung mit all dem Leid und dem Schrecken? Doch wohl nichts anderes als die Anbindung an den tiefen metaphysischen Kern des Lebens und damit an die Wahrheit und die Liebe. Wenn ich mich hier auf einen subjektiven Standpunkt der Verletzung und der Ungerechtigkeit stelle, kann ich mich mit der Vergangenheit nicht versöhnen.

Auch in der tiefsten Dunkelheit
leuchtet das Licht von Liebe und
Wahrheit für den, welcher es sehen kann.

Wir nehmen Sie als Mensch in Ihrer Gesamtheit wahr und entwickeln mit Ihnen gemeinsam einen individuellen Behandlungsplan, der auf Ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Nur so kann ein nachhaltiger Therapieerfolg erzielt werden, der Sie auch noch im Alltag begleitet.

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Der große Psychologe und Begründer der Logotherapie Viktor E. Frankl beschreibt dies in seinem Buch Trotzdem ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Er selbst überlebte mehrere Konzentrationslager und beschreibt dort eine Erfahrung, welcher er im tiefsten Grund der Verzweiflung gemacht hat und welche ihn gerettet hat und überleben hat lassen:

„Da durchzuckt mich ein Gedanke: Das erstmal in meinem Leben erfahre ich die Wahrheit dessen, was so viele Denker als der Weisheit letzten Schluß aus ihrem Leben herausgestellt und was so viele Dichter besungen haben: die Wahrheit, daß Liebe irgendwie das Letzte und das Höchste ist, zu dem sich menschliches Dasein aufzuschwingen vermag.“ (Frankl, 2009, S. 63). Dieses Letzte und Höchste ist wie ein Licht, das auch in der tiefsten Dunkelheit noch leuchtet und an welchem ich mich selbst dann noch orientieren kann, wenn alles verloren scheint. Dies ist auch die Bedeutung für den therapeutischen Prozess und die Aufgabe des Therapeuten: Den Menschen wieder näher zu seinem inneren Kern zu führen, welcher ihn ausmacht. Aus der antiken Philosophie stammt daher die Idee, dass ich im Zentrum meines Daseins stabil und sicher sein muss. Dann fällt es mir viel leichter, die Höhen und Tiefen des Lebens zu überstehen – denn diese bleiben nicht aus. Im Zentrum bin ich aber dann stabil, wenn mir die metaphysische Dimension des Menschseins bewusst ist.

Dies führt uns aber zu einem tieferen Verständnis der Versöhnung. Denn genau in der Berührung mit dem inneren Kern, in welchem ja tatsächlich alles gut ist, liegt die Versöhnung. Daraus ergibt sich folgende Definition:

Versöhnung ist das erkennende Sich-Hingeben an die Wahrheit.

Diese Definition mag verstörend sein, weil der Bezug zur Wahrheit hier so essenziell ist. Wir leben ja in Zeiten des Relativismus und das heißt, dass man genau diesen Bezug zur Wahrheit verloren hat. Wahrheit, so scheint es heute, ist subjektiv. Jeder hat seine Wahrheit. Die Wahrheit, so meint man, kann es nicht geben. Jeder Anspruch, die Wahrheit zu haben, scheint eine Anmaßung zu sein. Einer beansprucht dann die Wahrheit für sich und die anderen haben sie nicht.

Aber wie wäre dann Versöhnung mit der Vergangenheit möglich, wenn sie in einem Sich-Hingeben an die Wahrheit besteht? Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als einen kleinen philosophischen Exkurs zu dem Thema durchzuführen, was denn Wahrheit überhaupt ist. Dies soll im nächsten Beitrag zur Philosophie der psychischen Gesundheit geschehen.

Quellenangaben
  • Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, München 1988
  • Viktor E. Frankl: Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München 2009
Dr. Gerhard Hofweber
Philosoph und Autor Dr. Gerhard Hofweber
Dr. Gerhard Hofweber ist Philosoph und Autor. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen Metaphysik, psychische Gesundheit und sinnerfülltem Leben. Seit über 25 Jahren begleitet Dr. Hofweber Menschen in essentiellen Lebenssituation und existenziellen Lebensfragen. Sein vielseitiges Schaffen bildet sich auch in seinen Büchern ab.