Wenn Sie unseren Blog schon länger verfolgen, ist Ihnen bestimmt aufgefallen, dass bei vielen der vorgestellten psychischen Störungsbildern eine medikamentöse Behandlung zu den Bausteinen einer erfolgreichen Therapie gehören.
Aus diesem Grund möchten wir in diesem Artikel das Thema Psychopharmaka und insbesondere Antidepressiva genauer beleuchten und sprechen Sorgen und Vorurteile an, die mit der Einnahme von Psychopharmaka einhergehen. Zusätzlich geben wir Ihnen einen Überblick über gängige Wirkstoffe und versorgen Sie mit nützlichen Tipps zum richtigen Umgang mit Psychopharmaka.
Psychopharmaka ist ein Überbegriff für Medikamente, die im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen eingenommen werden. Der Kurzüberblick zeigt Ihnen Untergruppen von Psychopharmaka, die zwar nach dem primären Störungsbild benannt sind, in dem sie eingesetzt werden, aber häufig krankheitsübergreifend eingesetzt werden.
Da Depressionen und Angststörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören, werden Antidepressiva deutlich öfter verschrieben als die anderen Medikamente. Dadurch stehen sie stärker zur öffentlichen Debatte und haben mit Vorurteilen um ihre Wirkungsweise, ihr vermeintliches Suchtpotential und ihre Nebenwirkungen zu kämpfen. Der Artikel konzentriert sich daher im weiteren Verlauf auf das Thema Antidepressiva.
Es gibt eine Vielzahl von Antidepressiva: Unter anderem werden Citalopram, Venlafaxin, Fluoxetin oder Mirtazapin bei mittleren bis schweren Depressionen verschrieben. Hierbei handelt es sich um verschiedene Medikamente, die unterschiedliche Wirkprinzipien haben (s.u. Wie wirken Antidepressiva?). Die Verordnung erfolgt im besten Fall nach einer umfassenden Diagnostik durch einen Facharzt für Psychiatrie. Aber auch Hausärzte können Antidepressiva verschreiben. Die Ärzte orientieren sich bei der Wahl des Medikaments und der Dosierung an den ärztlichen Leitlinien zur Behandlung psychischer Krankheiten wie Depressionen.
Wichtig: Die genaue Diagnostik ist bei psychischen Krankheiten unabdingbar, denn es gibt depressive Störungsbilder, bei denen Antidepressiva nicht automatisch indiziert sind (z.B. bipolare Störungen).
Antidepressiva werden bei mittleren bis schweren Depressionen, Angststörungen und Zwangserkrankungen verordnet und helfen, die chemische Balance im Gehirn wiederherzustellen. Auch bei chronischen Schmerzen oder Schlafstörungen werden sie eingesetzt. Antidepressiva sollen das Wohlbefinden der Patienten verbessern. Je nach Wirkstoffzusammensetzung können sie den Antrieb erhöhen, Anspannung reduzieren und die Stimmung aufhellen. Es ist nicht garantiert, dass alle Patienten gleich gut auf ein Antidepressivum ansprechen. Je nach Stoffwechsel müssen ab und zu verschiedene Medikamente und Dosierungen ausprobiert werden.
Bei Depressionen ist das Verhältnis der Botenstoffe im Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten, insbesondere neben anderen die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, was sich auf den Antrieb und die Stimmung auswirken kann (Schandry, 2011). Fast alle Antidepressiva wirken auf das Serotonin- und Noradrenalin-System. Hierfür stehen auch die häufig im Zusammenhang mit Antidepressiva genannten Abkürzungen SSRI bzw. SSNRI (englische Abkürzung für Selektive Serotonin- (und Noradrenalin-)Wiederaufnahmehemmer).
Die Hoffnung, dass ein Medikament wie eine Zauberpille alle Symptome lösen kann, müssen wir Ihnen leider nehmen. Antidepressiva allein reichen häufig für die erfolgreiche und nachhaltige Behandlung von Depressionen nicht aus. Sie schaffen vielmehr eine Basis, auf der weitere Therapiebausteine, wie z.B. Psychotherapie und Sport, ansetzen können. Zudem gibt es auch Patienten, bei denen bestimmte Wirkstoffgruppen nicht anschlagen. Die richtige Medikamenteneinstellung kann dann einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.
Der Spruch „Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ gilt leider auch für Antidepressiva. So können vor allem in den ersten Wochen nach Beginn der Einnahme Übelkeit, Verdauungsprobleme oder Unruhe auftreten. Ärzte müssen ihre Patienten über mögliche Nebenwirkungen aufklären und die Patienten in den ersten Wochen engmaschig begleiten, damit die Medikamente nicht aufgrund der Begleitsymptome vorschnell abgesetzt werden. Die Nebenwirkungen der ersten Wochen vergehen erfreulicherweise häufig von allein. Bekannte Langzeitnebenwirkungen mancher, aber nicht aller Medikamente sind eine Gewichtszunahme und sexuelle Funktionsstörungen.
Wichtig: Wir Menschen unterscheiden uns stark in unserem Stoffwechsel voneinander. Daher sind die Nebenwirkungen immer individuell und können, müssen aber nicht auftreten.
Es ist sehr wichtig, eine spezielle Eigenschaft von Antidepressiva zu beachten: Sie wirken nicht sofort, sondern zeitverzögert, da die Medikamente komplexe neurobiologische Prozesse anstoßen. Diese Verzögerung ist ein Grund, warum viele Betroffene das Medikament aus ihrer Enttäuschung über den ausbleibenden Effekt heraus viel zu früh absetzen und dem Medikament gar keine Chance geben, seine Wirkung zu entfalten.
Bei körperlichen Erkrankungen fragen wir oft gar nicht genau nach, wenn uns der Arzt ein Medikament verschreibt. Wir nehmen es in der Hoffnung auf Besserung ein und nehmen auch Nebenwirkungen mehr oder weniger bereitwillig in Kauf. Bei Psychopharmaka sind die Bedenken häufig höher, denn es geht hier um unser mentales Wohlbefinden.
Leider sind diese Bedenken über die Jahre hinweg und über viele reißerische Artikel, Fernsehsendungen oder Internetforen zu wissenschaftlich nicht belegbaren Mythen geworden, wodurch Ärzte bei der Verschreibung von Psychopharmaka häufig auf Misstrauen stoßen.
Es gilt dann, diesen Vorurteilen und Ängsten mit Aufklärung zu begegnen. Informierte Patienten, die um die Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente wissen, sind zufriedener, fühlen sich wertgeschätzt und nehmen die Medikamente regelmäßiger nach Vorschrift ein.
Schauen wir uns einmal die häufigsten Vorurteile über Antidepressiva an und betrachten diese genauer:
„Antidepressiva machen abhängig.“
Hier kann es zu Verwechslungen zwischen den oben genannten Sedativa und Antidepressiva kommen. Sedativa (vor allem Benzodiazepine) können eine Abhängigkeit erzeugen, Antidepressiva jedoch nicht. Abhängigkeit bzw. Sucht ist so definiert, dass die Abhängigen ständig eine Erhöhung der Dosierung benötigen. Sie verspüren einen starken inneren Drang, das Suchtmittel zu konsumieren und können den Konsum schlecht kontrollieren. Dies ist bei Antidepressiva nicht der Fall.
Der Mythos kommt zudem durch die Tatsache zustande, dass Antidepressiva nicht von einen Tag auf den nächsten abgesetzt werden dürfen. Ein plötzliches Weglassen der Medikamente kann den Kreislauf und die Psyche durcheinanderbringen und zu ähnlichen Symptomen wie initiale Nebenwirkungen führen. Dies allein ist aber noch kein Kriterium, um von einer Abhängigkeit zu sprechen.
„Antidepressiva verändern die Persönlichkeit.“
Wie Sie bereits gelesen haben, wirken Antidepressiva im Gehirn. Dies führt zu der Angst, sie könnten die Persönlichkeit verändern und das eigentliche Wesen des Menschen verdecken. Dies ist nicht der Fall: Antidepressiva beeinflussen zwar auf Komponenten der Psyche (Antrieb und Stimmung), jedoch ist diese Wirkung nicht so extrem, als dass sie den ursprünglichen Charakter der Patienten völlig verändert. Es ist eher häufig so, dass die durch die Depression verschütteten Anteile der Persönlichkeit wieder zum Vorschein kommen können, da die Symptome der Depression durch die Antidepressiva abklingen.
Wenn Sie selbst oder ein Angehöriger von Depressionen betroffen sind und der Arzt Ihnen nach ausführlicher Rücksprache ein Medikament verordnet hat, dann möchten wir Ihnen mit diesen Tipps helfen, bestmöglich von dem Medikament zu profitieren.
Eventuell den Spiegel des Medikaments im Blut prüfen lassen: Nachdem Sie das Antidepressivum einige Wochen eingenommen haben, sollte es im Blutbild sichtbar sein. Sollte es keine Wirkung haben oder bereits bei niedrigen Dosierungen Nebenwirkungen auftreten, kann eine Bestimmung der Medikamentenkonzentration im Blut sinnvoll sein. Fragen Sie Ihren behandelnden Arzt nach einer Blutuntersuchung.
Niemals abrupt absetzen: Setzen Sie das Medikament nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt ab. Es kann zu Absetzsymptomen (s.o.) kommen oder zu einem Rückfall in eine depressive Episode.
Regelmäßige Kontrollen beim Arzt: Mit dem Fach- oder Hausarzt sollten Sie in regelmäßigen Abständen besprechen, ob das Antidepressivum noch den gewünschten Effekt zeigt und noch indiziert ist.
An die Einnahme erinnern lassen: Wie alle Medikamente sollten Antidepressiva regelmäßig eingenommen werden. Falls Sie zum Vergessen der Einnahme neigen, stellen Sie sich einen Wecker am Smartphone oder bitten Sie Angehörige, Sie an die Einnahme zu erinnern.
Lesen Sie den Beipackzettel (mit Bedacht): Es ist wünschenswert, dass Sie sich als Patient über die von Ihnen eingenommen Medikamente informieren. Aber Vorsicht: Im Beipackzettel sind wirklich alle Symptome aufgelistet, die jemals aufgetreten sind während das Medikament eingenommen wurde. Daher werden auch sehr geringe Auftretenswahrscheinlichkeiten angegeben und Symptome, die möglicherweise nicht im Zusammenhang stehen mit der Medikation. Die Auflistung bedeutet nicht, dass diese Nebenwirkungen auch zwangsweise bei jedem auftreten! Bei Zweifeln oder Sorge sollten Sie stets den behandelnden Arzt konsultieren.
Vorsicht bei der Einnahme anderer Medikamente: Die gleichzeitige Einnahme von Antidepressiva mit anderen Medikamenten sollte immer in Absprache mit dem Arzt erfolgen. So spielen z.B. die Abbauprozesse der Medikamente über Niere oder Leber eine Rolle. Hier kann es zu Wechselwirkungen kommen.
Zum Abschluss sei gesagt, dass Antidepressiva eine Chance in der Behandlung von Depressionen sind. Sie sind keine Garantie für Besserung oder Heilung, können jedoch nötige Prozesse in Gang bringen. Vielen Patienten helfen sie in Kombination mit Psychotherapie, wieder aktiv und mit Freude am Leben teilzunehmen. Wenn Sie gut informiert und gemeinsam mit Ihrem Arzt an die Sache heran gehen, dann kann die Therapie mit Antidepressiva ein Schritt in Richtung seelische Gesundheit sein.
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