Wenn wir ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) hören, denken wir sofort an hyperaktive und unaufmerksame Kinder. Doch würden wir auch an ADHS denken, wenn uns ein Erwachsener von Problemen in seiner Organisationsstruktur, von Impulsivität und emotionalem Ungleichgewicht berichtet? Vermutlich nicht! Gerade deswegen ist es so wichtig, über das Krankheitsbild auch im Erwachsenenalter aufzuklären und Betroffenen die richtige Hilfe anbieten zu können.
Zwischen zwei und drei Millionen Erwachsene sind in Deutschland von ADHS betroffen – und mehr als die Hälfte ist sich dessen nicht mal bewusst. Viele können ihre Symptome nicht einordnen und fühlen sich lange unverstanden und hilflos. Folgende Symptome bestimmen den Alltag bei Betroffenen:
Darüber hinaus erleben Betroffene häufig eine innere Unruhe, die sie leicht gestresst fühlen lässt und dann dazu führt, dass sie Schwierigkeiten haben ihre Pflichten zu erfüllen. Genauso kann es sein, dass Probleme bestehen, sich Ziele zu setzen und diese auch systematisch umzusetzen.
Die Diagnose ADHS ist im Erwachsenenalter sehr komplex und kann von Psychiatern oder Psychotherapeuten gestellt werden. Es sind mehrere Sitzungen mit folgenden Bestandteilen nötig:
Untersuchungsgespräch
Im Rahmen eines ausführlichen Gespräches mit den Betroffenen werden die aktuellen Symptome erfragt sowie überprüft, ob im Kindes- und Jugendalter die Kriterien von ADHS erfüllt wurden. Dabei kann es sinnvoll sein, ebenfalls Schilderungen von Partnern, Freunden oder Kollegen heranzuziehen.
Fragebögen
Ebenfalls eignet sich der Einsatz von standardisierten Fragebögen, welche neben dem Verlauf der Beschwerden auch Faktoren wie die Einnahme von Medikamenten oder weiteren Substanzen ausschließen sowie abfragen, ob andere psychische Erkrankungen ursächlich sein könnten. Auch hier gibt es Fragebögen für Angehörige.
Verhaltensbeobachtung
Anders als im Kindesalter, zeigen von ADHS Betroffene im Erwachsenenalter weniger starke Anzeichen motorischer Unruhe. Bei längerem still sitzen müssen, können jedoch Unruhezeichen wie ein Spielen mit Stiften oder anderen Gegenständen, permanentes Wippen mit den Beinen, Klopfen mit den Fingern oder an sich herumspielen auffällig sein.
Testpsychologische Untersuchung
Ebenfalls können eine Intelligenztestung sowie die Untersuchung einer Teilleistungsschwäche, wie der Lese-Rechtschreib-Störung, durchgeführt werden. Diese Parameter ermöglichen jedoch nicht alleine eine Diagnose, sondern können nur zusätzlich herangezogen werden.
Physiologische Untersuchung
Für eine ADHS Diagnose muss zuletzt sichergestellt werden, dass die Symptome nicht aufgrund einer anderen körperlichen Erkrankung bestehen. Erkrankungen wie Schilddrüsenleiden, Schädel-Hirn-Traumata oder Schlafkrankheiten können unter Umständen ähnliche Beschwerden hervorrufen. Dafür sind meist eine Blutentnahme sowie bildgebende (z.B. MRT, CT) oder psychophysiologische Verfahren (z.B. EEG) sinnvoll. Auch hier wird nochmal geprüft, ob ein Medikamenten- oder Substanzmissbrauch vorliegt.
Warum Personen ADHS entwickeln ist zum heutigen Stand der Forschung noch nicht vollständig klar. Es wird angenommen, dass verschiedene genetische- und Umweltfaktoren zusammenwirken und dadurch die Entwicklung neuronaler Regelkreise sowie Veränderungen im Neurotransmittersystem beeinflusst werden.
Genetik. Viele Studien belegen, dass ADHS zu den psychischen Störungen mit dem größten genetischen Einfluss zählt. Besonders im Erbgut, welches für die Entstehung und Übertragung des Botenstoffes Dopamin zuständig ist, wurden Veränderungen beobachtet.
Umweltfaktoren. Soziale Einflüsse wie die familiäre Situation, das schulische oder berufliche Umfeld sowie Partnerschaften stellen zwar nicht die alleinige Ursache für eine Erkrankung an ADHS dar, können jedoch das Ausmaß sowie den Verlauf maßgeblich beeinflussen. Darüber hinaus können Beeinträchtigungen in der Schwangerschaft, wie Alkohol- oder Nikotinkonsum sowie Komplikationen bei der Geburt, die Gehirnfunktionen beeinträchtigen. Hier wird jedoch davon ausgegangen, dass diese Faktoren besonders Einfluss nehmen können, wenn auch die genetische Veranlagung als Grundlage dafür vorhanden ist.
Die unterschiedlichen Arten der Entstehung von ADHS erklären auch, warum nicht alle Betroffenen dieselben neurobiologischen und -psychologischen Symptome aufweisen. Gerade wenn die Erkrankung bereits seit vielen Jahren besteht, entwickeln Betroffene häufig weitere Problematiken und Symptome anderer psychischer Erkrankungen.
Je nachdem wie ausgeprägt eine ADHS Erkrankung ist, ist es ratsam sich professionelle Unterstützung zu suchen. Einige Betroffene schaffen es aus eigener Kraft sich im Laufe ihrer Erkrankung Strategien für den Umgang mit ihr anzueignen, andere besitzen weniger Ressourcen und können ihren Alltag kaum noch bewältigen. Sowohl eine Selbsthilfegruppe, als auch eine Psychotherapie können an der Stelle hilfreich sein.
Im Rahmen einer Selbsthilfegruppe können Betroffene Verständnis und Unterstützung für ihr Beschwerdebild erhalten. Sie können gute Strategien zum Umgang mit ihrer Störung von erfahreneren Personen lernen und große Erleichterung erfahren. Es allerdings wichtig zu erwähnen, dass diese Option bei einer besonders starken Beeinträchtigung eher als Unterstützung zu einer professionellen Therapie gewählt werden sollte.
Im Zuge einer Psychotherapie kann wahlweise das Verfahren der Verhaltenstherapie oder der psychoanalytischen Therapie gewählt werden. Verhaltenstherapeuten unterstützen Patienten dabei konkrete Alltagsherausforderungen durch die ADHS zu bewältigen. Es werden individuelle Ziele festgelegt und Strategien zum Umgang mit der Erkrankung erlernt sowie Schritt für Schritt umgesetzt. Psychoanalytiker hingegen fokussieren sich auf die emotionalen Problematiken und die Entstehung der Erkrankung sowie Konflikte in der Kindheit.
Über diese Unterstützungsformen hinaus kann es in manchen Fällen sinnvoll sein den Patienten mit einer medikamentösen Behandlung zu unterstützen. Ob das sinnvoll ist, hängt ebenfalls wieder vom Grad der Beeinträchtigung ab. In manchen Fällen kann es sogar eine Voraussetzung für eine Psychotherapie darstellen.
Grundsätzlich ist nochmal wichtig zu erwähnen, dass ADHS eine Krankheit ist, die diagnostiziert mit Erfolg behandelt werden kann. Welches Verfahren dabei am sinnvollsten ist, ist ganz individuell und es kann zu Beginn bereits erleichternd sein, Wissen über das Störungsbild zu erlangen und die eigene Symptomatik somit besser zu verstehen.
Wie bereits deutlich geworden ist, leiden Betroffene von ADHS unter diversen Beeinträchtigungen und werden in ihrem Alltag immer wieder vor Herausforderungen gestellt. Aus diesem Grund kann es eine große Chance sein, den Blick etwas zu weiten und auch auf die Stärken zu lenken, die aus den Symptomen der Erkrankung gezogen werden können. Eigenschaften, die auf der einen Seite als belastend erlebt werden, können so genauso gut zur eigenen Stärke gemacht werden:
Unorganisiert -> mehr Gelassenheit, im Moment leben
Impulsivität -> mehr Spontanität und Flexibilität
Sprunghaftigkeit -> mehr Begeisterungsfähigkeit und Neugierde
Verträumtheit -> mehr Kreativität, über den Tellerrand hinaus denken
Eigensinnigkeit -> mehr Engagement und Entschlossenheit
Es ist wichtig, im Umgang mit der Krankheit seine Nische zu finden und sowohl im Beruf, als auch privat die besonderen Eigenschaften gut einzusetzen und zu nutzen. Denn auch mit, oder gerade wegen einer ADHS Diagnose können Betroffene ein erfülltes Leben führen.