Eltern mit Depressionen und Angsterkrankungen – Wie hoch ist das Risiko als Kind ebenfalls betroffen zu sein?

„Wer psychisch kranke Eltern hat, besitzt ein hohes Risiko selbst zu erkranken!“ Diese Aussage ist Ihnen sicherlich auch schon mal begegnet und für viele Kinder betroffener Eltern sehr verunsichernd. Doch ist das wirklich so? Und wenn ja, sind eher die Gene verantwortlich oder das elterliche Umfeld, in dem wir aufwachsen? Werfen wir mal einen Blick auf zwei sehr häufig vorkommende Störungsbilder – Depressionen und Angsterkrankungen:

Was sind Symptome von Depressionen und Angststörungen?

Zunächst mal ist es wichtig abzugrenzen, ab wann sich schlechte Stimmung und Ängste zu psychischen Erkrankungen entwickeln.

Depressionen sind gekennzeichnet durch:

  • Gedrückte Stimmung
  • Interessenverlust
  • Antriebsmangel

Belgleitet von weiteren Symptomen wie:

  • Schlafstörungen
  • Schuldgefühlen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Geringem Selbstwertgefühl
  • Appetitverlust oder -steigerung
  • Suizidgedanken

Eine Diagnose wird gestellt wenn zwei der Hauptkriterien sowie zwei der weiteren Symptome über einen Zeitraum von mindestens 14 Tagen bestehen.

Angststörungen sind gekennzeichnet durch:

  • Innere Unruhe
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Reizbarkeit
  • Herzrasen
  • Atemnot
  • Zittern

Angst ist grundsätzlich etwas vor Gefahr schützendes und überlebenswichtiges. Sie erhält erst krankheitswert, wenn sie auch in unbedenklichen Situationen auftritt sowie zu Einschränkungen und Leid führt.

Wichtig: Angststörungen sind die häufigste psychische Erkrankung, Depressionen kommen nur halb so viel vor – jedoch ist auch bei ihnen, auf die Lebenszeit gesehen, jeder Fünfte in Deutschland betroffen.

Wie entstehen psychische Erkrankungen grundsätzlich?

Im nächsten Schritt lohnt es sich einen Blick auf die allgemeine Entstehung von psychischen Erkrankungen zu werfen. Warum erkranken die einen und die anderen nicht?

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine Erkrankung durch ein Ungleichgewicht von Belastung und Bewältigungsstrategien entsteht. Dabei sind die Faktoren, die die Vielfalt der Bewältigungsstrategien sowie die individuelle Wahrnehmung von Belastung beeinflussen können folgende:

Biologische Risikofaktoren:

Genetische Disposition, Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Hirnschädigungen

Psychosoziale Riskofaktoren:

Familiär: Verlust von Bezugspersonen, frühe Elternschaft
Interaktionell: Konflikte mit Bezugspersonen, häufiger Streit zwischen den Eltern, ungünstiges Bindungsverhalten, Kommunikationsschwierigkeiten, Misshandlung
Soziale Risikofaktoren: Niedriger sozioökonomischer Status, kritische Lebensumstände

Umso mehr der genannten Faktoren gegeben sind, umso höher das Risiko eine psychische Erkrankung zu entwickeln und gleichzeitig nicht genügend Bewältigungsstrategien ausbilden zu können.

Wie Eltern Ängste und Depressionen an ihre Kinder weitergeben

Wie nun deutlich wurde, können sowohl genetische Faktoren, als auch Umweltbedingungen für die Entstehung einer psychischen Erkrankung verantwortlich sein – woran Eltern ganz grundsätzlich beide Male beteiligt sein können. Doch was wiegt nun mehr auf? Es lohnt sich für beide Störungsbilder einen Blick in die aktuelle Studienlage zu werfen:

Depressionen

In einer 2022 veröffentlichten Studie der Michigan State University, die zu der Erblichkeit von Depressionen durchgeführt wurden, wurden einmal Kinder herangezogen, die bei den leiblichen Eltern aufwuchsen und Kinder, die in Patchworkfamilien mit einem Stiefelternteil (meistens Stiefvätern) aufwuchsen. Das Forschungsteam um Alexandra Burt fand heraus, dass Kinder aus Patchworkfamilien deutlich häufiger von Depressionen betroffen waren. Es gab auch kaum Unterschiede bei der Betroffenheit von Halbgeschwistern innerhalb dieser Patchwork-Haushalte, die genetisch gesehen nicht immer mit dem an Depressionen erkrankten Elternteil verwandt waren. Die Studie gibt einen Hinweis, dass die familiären Umstände stärker aufwiegen könnten als die Genetik.

Es existieren allerdings auch einige aktuelle Studien, die beweisen, dass Faktoren wie Stress oder Traumata das Erbgut nachhaltig verändern und an die Nachkommen weitergegeben werden können. Es konnten beispielsweise Stellen auf dem Genom festgestellt werden, die mit schweren Depressionen in Verbindung stehen. Diese Befunde unterstreichen Zwillingsstudien. Hier wurde beobachtet, dass in der Hälfte der Zwillingspaare mit mindestens einem an Depressionen erkrankten Elternteil, beide selbst von einer Depression betroffen waren.

Die beiden Beispiele für die aktuelle Befundlage unterstreichen deutlich, dass es noch weitere Forschung zu den ursächlichen Faktoren geben muss und nach aktuellen Kenntnissen sowohl die Umwelt, als auch die Gene für die Weitergabe von Depressionen verantwortlich sein können. Unumstritten lässt sich jedoch festhalten, dass Kinder, die mit einem depressiven Elternteil aufwachsen ein drei bis fünfmal höheres Risiko besitzen selbst zu erkranken. Sind beide Elternteile betroffen, steigt die Wahrscheinlichkeit folglich nochmal weiter an.

Angststörungen

Auch für Angststörungen sind sich Forscher einig, dass Kinder, deren Eltern unter einer Angststörung leiden häufiger selbst erkranken als Kinder, deren Eltern keine haben. Die Besonderheit bei diesem Störungsbild ist: Die Weitergabe erfolgt zu großen Teilen geschlechtsspezifisch! Forscher an der Dalhousie University in Kanada fanden heraus, dass Väter ihre Ängste in erster Linie an ihre Söhne und Mütter an ihre Töchter weitergeben – Ängste des andersgeschlechtlichen Elternteils haben tatsächlich kaum eine Auswirkung auf die Nachkommen. Grund dafür scheinen Lernerfahrungen am Vorbild des gleichgeschlechtlichen Elternteils zu sein. Darüber hinaus hat auch ein übermäßig kontrollierendes und behütendes Verhalten der ängstlichen Eltern negative Auswirkungen und hindert die Kinder daran unabhängig und selbstbestimmt zu werden sowie vielfältige Erfahrungen zu machen. Hieraus kann auch schnell ein Teufelskreis aus Überfürsorge, wachsenden Verhaltensdefiziten sowie Ängstlichkeit auf der Seite der Kinder entstehen. Diese Beobachtungen lassen darauf schließen, dass das familiäre Umfeld bei der Entwicklung von Angststörungen eine größere Bedeutung hat als die Genetik. Weitere Metaanalysen liefern ebenfalls nur Ergebnisse mäßiger Erblichkeit, was von stark variierenden Zahlen betroffener Kinder unter den einzelnen Subtypen der Angststörung unterstrichen wird.

Was können betroffene Eltern jetzt tun?

Ganz wichtig: Sie können viel tun! Wie bereits deutlich geworden sein sollte, sind sowohl bei Depressionen, als auch Angsterkrankungen Umweltfaktoren sehr wichtig. Wenn Sie also als Eltern merken, dass sie an Depressionen oder Angststörungen leiden, holen Sie sich frühzeitig Unterstützung – Alles was Ihnen hilft, wird auch ihren Kindern helfen und vor einer Erkrankung schützen. Professionelle Helfer können ihnen Ratschläge im Umgang mit ihren Kindern geben und ggf. auch weitere Bezugspersonen beraten, welche Aufgaben sie ihnen abnehmen können. Bei noch sehr jungen Kindern kann es vorteilhaft sein, wenn sich eine nicht erkrankte Person in gewissen Situationen kümmert und Sicherheit ausstrahlt. Es ist darüber hinaus sehr wichtig, dass Kinder keine helfende Rolle übernehmen, die sie überfordert weil ihnen selbst noch die richtigen Problemlösungsstrategien fehlen. Mit älteren Kindern können sie sehr gut über die eigene Erkrankung sprechen, da sie ohnehin merken, dass etwas nicht stimmt und es meistens als erleichternd erleben, wenn offen damit umgegangen wird.

Quellenangaben
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/depression-internationale-studie-bringt-licht-in-die-ursachen-der-lebensfinsternis-8288.php, Abruf am 08.02.2023.
  • Burt, Alexandra; Clark, Angus & Neiderhiser, Jenae M. (2022). Illuminating the origins of the intergenerational transmission of psychopathology with a novel genetically informed design. Development and Psychopathology.
  • Caspar, Franz; Pjanic, Irena & Westermann, Stefan: Klinische Psychologie. Wiesbaden, 2018.
  • Dilling, Horst et al.: ICD-10: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Göttingen, 2015.
  • Lenz, Albert: Kinder psychisch kranker Eltern stärken. Göttingen, 2022.
  • Pavlova, Barbara et al. (2022). Sex-Specific Transmission of Anxiety Disorders From Parents to Offspring. JAMA Netw Open, Heft 5.
  • Rupprecht, Rainer; Kellner, Michael: Angststörungen. Stuttgart, 2012.
  • Schulte-Körne, Gerd & Allgaier, Antje-Kathrin (2008). Genetik depressiver Störungen. Kinder- und Jugenspsychiatrie und Psychotherapie, Heft 1.
  • Wagner, Elisabeth: Psychische Störungen verstehen. Berlin, 2021.
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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