“Achtsamkeit bedeutet, in besonderer Art und Weise aufmerksam zu sein: […] im gegenwärtigen Moment und ohne Wertungen. Diese Art der Aufmerksamkeit nährt ein höheres Bewusstsein, Klarheit und die Akzeptanz des gegenwärtigen Augenblicks.“
Kabat-Zinn,2013
Der Begriff Achtsamkeit wird heutzutage häufig und in verschiedensten Kontexten verwendet. Fast jeder ist mittlerweile mit diesem Begriff in Berührung bekommen. Im Moment leben – so heißt es in vielen Ratgebern. Was das aber genau bedeutet und wie Achtsamkeit dabei hilft, das wissen nur die wenigsten. Achtsamkeit, oder das englische Wort „mindfulness“ beschreiben zunächst einen psychischen Zustand, den Menschen durch entsprechende Übungen erreichen können. Bei diesen Übungen, wie z.B. Wahrnehmungs- oder Meditationstrainings, wird die Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment gerichtet.
Die Gegenwart steht im Fokus. Um auf das Zitat am Anfang des Artikels zurückzukommen: Es entsteht eine offene und akzeptierende Einstellung, in der keine Erfahrung vermieden wird (Bouvet et al., 2015). Es geht also um den gegenwärtigen Moment, das Hier und Jetzt. Nicht um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit.
Und nun?
Aber wie genau soll dieser Zustand erreicht werden? Wie kommen wir in das Jetzt? Die Zuwendung zur Gegenwart entsteht durch die bewusste Wahrnehmung der Atmung, von Geräuschen, Körperempfindungen und Körperbewegungen. Die gewünschte Akzeptanz wird durch die wertfreie Beobachtung dieser Erfahrungen gefördert. Das ist insbesondere wichtig für Gefühle und Gedanken, die während der Achtsamkeitsübungen auftreten können. Sie werden nur beobachtet und nicht bewertet.
Das passt unserem Verstand zunächst überhaupt nicht, denn es widerspricht seiner alten Gewohnheit und fällt ihm deshalb ganz schön schwer. Wir ordnen unsere Erfahrungen in unserem Kopf nämlich direkt in Schubladen ein und geben ihnen dadurch eine Bedeutung:
Der Bewertungsroboter im Kopf hat für alles eine passende Beschreibung. Teilweise ist das natürlich nützlich, oft ist es aber auch belastend und verdeckt die Sicht auf das Wesentliche.
Körper und Kopf sollen wieder zusammenfinden.
Der Geist wird in das Hier und Jetzt gelenkt, also genau dorthin, wo sich der Körper befindet (Kabat-Zinn, 2013). Das mag vielleicht esoterisch klingen, aber dieser Zustand und die dahinführenden Übungen haben sich als wertvolle psychotherapeutische Techniken erwiesen und wirken gesundheitsfördernd. Ursprünglich entstammt das Konzept der Achtsamkeit aus der buddhistischen Meditationstechnik.
Der Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn löste die Achtsamkeit aus ihrem spirituellen Kontext, um sie für therapeutische Zwecke nutzbar zu machen. Er formulierte psychotherapeutische Techniken, die den Kern achtsamkeitsbasierter Interventionsprogramme wie Mindfulness-Based Stress Reduction und Mindfulness-Based Cognitive Therapy, auch bekannt unter MBSR und MBCT, bilden.
Achtsamkeit kann psychisch belasteten Personen in vielfältiger Art und Weise helfen: Sie kann das allgemeine Wohlbefinden und den Umgang mit Stress und Krankheiten verbessern. Es wird die Fähigkeit erlernt, Gedanken und Gefühle ziehen zu lassen, ohne sie zu bewerten. Oft nehmen wir unsere Gedanken nämlich als bare Münze und messen ihnen sehr viel Bedeutung zu, im Endeffekt sind sie aber nur ein beiläufig entstehendes Produkt unseres Verstandes.
Diese beiläufigen Gedanken haben dann aber häufig einen negativen oder gar zerstörerischen Charakter (z.B. selbstabwertende Gedanken). Gewisse Geisteszustände wie z.B. automatisches Handeln oder reines Funktionieren in stressreichen Zeiten können diese Gedanken verschärfen und negative Konsequenzen für das Wohlbefinden mit sich bringen. Jon Kabat-Zinn spricht bspw. von Ruhelosigkeit, psychisch bedingten Schmerzen oder Angespanntheit. Achtsamkeit kann diese emotional und kognitiv belastenden Zustände reduzieren (Brown & Ryan, 2003).
Das Gedankenkarussell stoppen
Viele Patienten mit psychischen Beeinträchtigungen leiden unter ständigem Gedankenkreisen oder Grübeln. Dass der eigene Geist ständig aktiv ist, sich in endlosen Schleifen verfängt und so den Schlaf oder die Entspannung beeinträchtigt, ist vielen Menschen ein vertrautes Phänomen. Bei vielen psychischen Erkrankungen ist diese Tendenz jedoch deutlich verstärkt. Es treten zum einen gehäuft Gedanken auf, die negativ und selbstzerstörerisch sind, zum anderen können sich die Betroffenen nur schwer von diesen Inhalten lösen. Durchgehendes Grübeln und ein regelrechter Grübelzwang können entstehen und einem das Leben extrem schwer machen (Ramel et al., 2004).
In Studien konnte nachgewiesen werden, dass das Erlernen von Achtsamkeit auch bei gesunden Personen zu einer Verbesserung des Wohlbefindens, zur Abnahme psychischer Symptome sowie zur Reduktion der Häufigkeit negativer Emotionen führt (Brown & Ryan, 2003; Raes, Griffith, Van der Gucht & Williams, 2014; Shapiro, Schwartz & Bonner, 1998). Aber auch bei Patienten in psychosomatischen oder psychiatrischen Einrichtungen konnten deutliche Verbesserungen der Symptomatik durch Achtsamkeitsübungen erzielt werden (Baer, 2003; Bohlmeijer, Prenger, Taal & Cuijpers, 2010; Fjorback, Arendt, Ornbol, Fink & Wallach, 2011).
Generell existieren drei elementare Meditationsformen im Bereich der Achtsamkeit:
Der Body-Scan ist eine Meditationspraxis im Liegen, bei der die Aufmerksamkeit systematisch einmal durch den ganzen Körper wandert (Kabat-Zinn, 2013). In der Sitzmeditation lernen die Kursteilnehmer in einer aufrechten Sitzhaltung eine ruhige und akzeptierende innere Haltung einzunehmen. Dabei wird die Konzentration abwechselnd auf den Atem, entstehende Gefühle und entstehende Gedanken gelenkt (Kabat-Zinn, 2013). Die Gehmeditation hat das Ziel, Elemente der Achtsamkeit in den Alltag zu übertragen.
Hierbei soll die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Handlung des Gehens fokussiert werden (ibid., 2013). Einen weiteren Bestandteil der Achtsamkeit bilden Körperübungen, die dem Yoga entstammen (Bishop, 2002). Das Training zielt nicht auf grundlegende Veränderungen von Gedanken und Gefühlen ab, sondern auf unsere Beziehung zu diesen. Insbesondere schmerzhafte Beziehungen zu bestehenden Ängsten oder depressiven Gedankeninhalten werden nach und nach gelöst (Bouvet et al., 2015).
Prinzipien wie das Bewusstmachen, die Akzeptanz, die Distanzierung von präsenten Gedanken und die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment stehen im Vordergrund (Bouvet et al., 2015). Schritt für Schritt wird erlernt, sich von negativen und wenig hilfreichen Gedanken und Gefühlen abzugrenzen, sie ziehen zu lassen und sich auf den gegenwärtigen Moment zu fokussieren.
Grundsätzlich kann jeder von Achtsamkeitsübungen profitieren, unabhängig von Alter, Geschlecht, Erkrankung religiöser Orientierung oder Spiritualität. Wie Studien zeigen, ist die Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Programme von diesen Faktoren unabhängig (Greeson et al., 2015). Die Techniken sind von Religion und Spiritualität losgelöst und können unsere Beziehung zu negativen Gedanken und Gefühlen verändern (Kabat-Zinn, 2013). Die Gedanken sollen dabei nicht vermieden werden, man kann jedoch lernen sich von ihnen abzugrenzen und loszulösen. Außerdem wird eine innere Einstellung von wertfreier Wahrnehmung und Akzeptanz erlernt (Bouvet et al., 2015).
Auf diese Weise können Stresssymptome, innere Unruhe und quälendes Grübeln verringert werden. Insgesamt sind achtsamkeitsbasierte Interventionsprogramme also gut geeignet, sowohl für Gesunde, die einen achtsamen Umgang mit negativen Gefühlen und Stress erlernen möchten, als auch für Patienten mit psychischen Beeinträchtigungen. Neben der Achtsamkeit werden zudem oftmals Therapiemethoden wie Meditation, Yoga, Qigong und die progessive Muskelentspannung nach Jacobson im Bereich des Entspannungstrainings angeboten, sodass jeder die individuell für ihn passende Methode als Verfahren nutzen kann.
Ist ihr Interesse geweckt worden? Nicht nur das Internet bietet zahlreiche Möglichkeiten sich zu informieren. Auch in der Literatur lassen sich viele tolle Ratgeber zum Thema Achtsamkeitsübungen und -techniken finden!
Kategorien: Therapie